Arbeitskreis
 von

 Katholiken

Logo

Ich bin der Weg,

die Wahrheit und

das Leben

.

Der Synodale Weg zum BRUCH mit Bibel, Tradition und Lehramt

Gutachter bedienen das Skandalinteresse der Medien (1)

Das Bild vom Gutachter Ulrich Wastl, der triumphierend ein Protokoll als vermeintliche Beweisschrift gegen Kardinal Ratzinger hochhielt, war sicherlich der szenische Höhepunkt der Veranstaltung am 20. Januar, bei der die Münchener Kanzlei Westphal Spilker Wastl ihr Gutachten vorstellte. Darin werden für den Zeitraum der letzten 70 Jahre die Missbrauchsfälle von 173 Geistlichen in der Diözese München und Freising dargestellt sowie die von 62 übergriffigen Laien.
Nach der Einführung in das umfängliche Gutachten durch Dr. Marion Westphal gab Dr. Manfred Pusch einen Überblick über Methode und Inhalt der 66 Einzelgutachten. Danach hatte Dr. Wastl die Aufgabe, in seinem halbstündigen Beitrag einen von fünf Missbrauchsfällen aus der Amtszeit des damaligen Erzbischofs Joseph Ratzinger von 1977 bis 1982 vorzustellen.

Mediale Vorverurteilung von Papst Benedikt

Schon am 4. Januar hatte die ZEIT auf ihrer Titelseite die Einschätzung der Medien an das erwartete Gutachten so formuliert: „Wie viel Schuld trägt Benedikt XVI. am Treiben eines Sexualtäters in seinem alten Bistum?“ Normalerweise gilt in Deutschland bei Verdachtsfällen von Fehlverhalten die Unschuldsvermutung. Viele Medien übergehen diese Rechtsnorm bei kirchlichen Missbrauchsfällen, insbesondere wenn es um konservative Bischöfe geht und erst recht bei dem seit Jahren in sprungbereiter Feindseligkeit attackierten Papst Benedikt. Jedenfalls markieren nach der obigen Formulierung die ZEIT-Redakteure den Papst schon vor der Gutachtenveröffentlichung als schuldig Verurteilten. Ihr Frageinteresse geht nicht dahin, ob Erzbischof Ratzinger vor 40 Jahren schuldig geworden war am Seelsorgeeinsatz eines Priesters, zu dem die Diagnose Pädophilie erst nachher mitgeteilt wurde, sondern wie hoch der Schuldanteil des heute emeritierten Papstes an den Missbrauchstaten des Klerikers sei. 

Was sind die belegbaren Fakten zu diesem Fall?

Bei einer Ordinariatssitzung am 15. Januar 1980 in München, an der auch Erzbischof Joseph Ratzinger teilnahm, ging es um die Personalie eines jungen Kaplans. Der betreffende Vermerk im Sitzungsprotokoll lautet: „Das Bistum Essen bittet für einige Zeit um Wohnung und Unterkunft für Herrn (H.) bei einem Pfarrer in einer Münchener Pfarrei. Er wird sich in psychotherapeutische Behandlung begeben. Dem Gesuch wird zugestimmt. H. soll bei Dekan (X.) in der Pfarrei (Y.) untergebracht werden.“ Eine Aktennotiz des diözesanen Personalreferenten ergänzt die knappe Information: Der Kaplan sei sehr begabt und könne vielseitig eingesetzt werden. „Die Aufnahme soll in einem guten Pfarrhof bei einem verständnisvollen Kollegen erfolgen. Das schriftliche Gesuch aus Essen liegt vor.“ In dem Antrag des Bistums Essen heißt es zusätzlich, der Priester könne für Gottesdienste und liturgische Dienste eingesetzt werden. Bei ihm liege eine „Gefährdung“ vor, die dessen Heimatdiözese dazu veranlasst habe, ihn aus dem seelsorglichen Dienst herauszunehmen. Ein Verfahren gegen ihn stehe nicht an.
Unter dem Begriff ‚Gefährdung‘ konnte man vieles verstehen von Alkoholismus bis hin zu Suizidgefahr oder Drogensucht (M. Heesemann). Es gab jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung keinen Informationshinweis vom Bistum Essen darüber, dass Peter H. (im Gutachten „Priester X“ genannt) sich an einem Jungen vergangen hatte und wegen des Missbrauchs verurteilt worden war. Bei dem Prozess hatte ein psychiatrischer Gutachter aus Essen als Diagnose „Pädophilie“ festgestellt und dazu eine psychotherapeutische Behandlung weit weg von seiner Heimatdiözese verschrieben.
Pädophilie (in diesem Fall ephebophile Neigungen zu Jungen in der Pubertät) galten den damaligen Humanwissenschaften als heilbar, so dass Peter H. nach abgeschlossener Therapie wieder in der Seelsorge eingesetzt werden könnte. Das geschah auch in München einige Zeit nach der Behandlung durch den damaligen Generalvikar Gruber. Das Gutachten vermerkt zu diesem Einsatz, dass nach den Unterlagen dem damaligen Erzbischof Ratzinger kein pflichtwidriges Verhalten zugesprochen werden könne.
Nach mehreren Rückfällen und seelsorglichen Weiterbeschäftigungen unter Erzbischof Wetter (seit 1982 im Amt) wurde Peter H. 2008 in der Kurseelsorge in Bad Tölz eingesetzt. Das war unter der Verantwortung von Kardinal Marx. Für dessen Entscheidung wurde ihm von der Kanzlei Fehlverhalten attestiert.
Als Ergebnis dieser Fakten-Darstellung bleibt festzuhalten: Nach den Unterlagen hatte Kardinal Ratzinger zum Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung ins Münchener Bistum weder Kenntnisse von der Missbrauchs-Vorgeschichte des Kaplans H., noch gibt es irgendwelche Belege dafür, dass er dessen späteren Seelsorgeeinsatz durch Generalvikar Gruber veranlasst oder genehmigt hätte.

Die Medien versuchen Papst Benedikt Missbrauchsförderung in die Schuhe zu schieben

Doch schon einige Jahre, nachdem Kardinal Ratzinger im Frühjahr 1982 zum Chef der Glaubenskongregation bestellt war, versuchten Medien, dem Kardinal mit Spekulationen etwas anzuhängen. Als ab Anfang 2010 die Medien in Deutschland die Missbrauchsfälle im Bereich der Kirche als Skandal aufmachten, geriet der inzwischen zum Papst gewählte Benedikt XVI. erneut in den Sucher der Leitmedien. Der Spiegel setzte damals dreizehn Redakteure an, um dem Papst Verwicklungen in Missbrauchsfälle nachzuweisen. Das berichtete der damalige Spiegel-Redakteur Matthias Matussek. Obwohl die Journalisten nichts fanden, titelte das nachrichtenkreative Magazin: „Missbrauchsfall im Ratzinger-Bistum aufgedeckt.“ Mit ähnlicher Überschrift: „Ratzingers Bistum setzte pädophilen Pfarrer ein“, wollte auch die Süddeutsche Zeitung auf die billige Tour der Wortassoziation den Papst als amtlichen Beihelfer zu Missbrauchstaten anschwärzen.
Nach einem Bericht der New York Times von 2010 tauchte die Behauptung auf, dass in den Führungskreisen des Bistums München eine Strategie entwickelt worden sei, den vormaligen Erzbischof Ratzinger zu schützen, indem die Entscheidungen bezüglich des Peter H. auf andere Verantwortliche geschoben worden wären. Laut Gutachten kann eine Einbindung vom damaligen Papst Benedikt in eine solche Strategie, falls es sie gegeben hat, nicht nachgewiesen werden. Einen entsprechenden Verdacht haben die Gutachter ausdrücklich zurückgezogen.
Mit einer Erklärung des Münchener Kirchenrechtlers Lorenz Wolf von 2016, den das Gutachten inzwischen schwer belastet, glaubten die Medien ein weiteres Mal, etwas gegen den nunmehr emeritieren Benedikt XVI. in der Hand zu haben. Doch die pauschale Behauptung von Wolf, die damaligen Bischöfe und Generalvikare von Essen und München seien der Verantwortung gegenüber den ihrer Hirtensorge anvertrauten Kindern und Jugendlichen nicht gerecht geworden, brachte keinerlei neue belastbare Erkenntnisse. Zudem haftete der Erklärung von Wolf der Ruch an, mit Beschuldigungen gegen andere von eigenen Fehlern abzulenken. Für die ZEIT reichte das magere Dokument von Wolf trotzdem aus, 14 Tage vor Veröffentlichung des Münchener Gutachtens mit alten Spekulationen den Fokus der Öffentlichkeit erneut auf den emeritierten Papst zu lenken.

Diese mediale Anbahnung nahm die Münchener Kanzlei bei ihrer Gutachten-Vorstellung gerne auf. Die Präsentation war so konzipiert, dass der Vortrag von Dr. Wastl, der sich auf zwei Schuldnachweise gegen Benedikt in dem Fall Peter H. konzentrierte, Haupt- und Höhepunkt der Pressekonferenz war.

Der Gutachter kann Kardinal Ratzinger kein Fehlverhalten nachweisen

Nach Dutzenden von Nachfragen und Vorhalten von Seiten des Gutachters blieb Papst Benedikt bei seiner protokollgestützten Aussage, zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. in der Ordinariatssitzung am 15. 1. 1980 habe er keine Kenntnis über die Vorgeschichte des Ankommenden gehabt. Gegenüber dieser Feststellung konnte Wastl keinerlei Gegenbeweise oder Indizien anführen. Gleichwohl verweigert er die zwingende Bewertung, dass mit der „gebotenen Gewissheit“ in diesem Fall kein konkreter Vorwurf gegen den damaligen Erzbischof Ratzinger zu erheben möglich ist, wie Wastl das zu dem Vorwurf einer Schutzstrategie ausdrückte (siehe oben).

Stattdessen verlegt sich der Gutachter auf Vorwürfe wie „nicht nachvollziehbare Ignoranz gegenüber“ dem Priester H. sowie fehlende Nachfragebereitschaft, ohne sich mit Benedikts Gegengründen auseinanderzusetzen. Dann führt er zwei Zeitzeugen an, die vom Hörensagen gewusst haben wollten, dass Kardinal Ratzinger nach der Ordinariatssitzung im Januar 1980 bis Mitte 1982 doch Kenntnisse von der Vorgeschichte des Peter H. gehabt haben müsste. Wastl kann aus diesen wagen Angaben natürlich keinen gutachterlichen Vorwurf destillieren. Schließlich glaubt er „plausibel belegen“ zu können, dass der Priester H. in seiner ersten Seelsorgestelle im Bistum München missbräuchlich aufgefallen wäre, was der Beschuldigte bestritt. Zu diesem angenommenen Vorfall kann er aber ein „pflichtwidriges oder unangemessenes Verhalten“ von Kardinal Ratzinger nicht erkennen. Das gelte ebenso für die Versetzung von Peter H. in einen zweiten Einsatzort im Bereich der Erzdiözese.

    Somit bleibt festzuhalten:
    Der Gutachter kann für seine Verdachtspunkte, Kardinal Ratzinger habe sowohl
    beim Zeitpunkt der Aufnahme des Priesters H. wie auch in den folgenden
    zweieinhalb Jahren seiner Amtszeit in München von dessen missbräuchlichen
    Wirken des gewusst,  keine Belege aufführen. Erst recht kann Wastl dem Kardinal
    kein pflichtwidriges Vorgehen, also Fehlverhalten in diesem Fall vorwerfen.

 Im mündlichen Vortrag wandelt sich der Freispruch zum Schuldspruch

Entgegen dieser gutachterlichen Einschätzung in Schriftform vermittelte Dr. Wastl bei seinem mündlichen Vortrag auf der Münchener Gutachtenvorstellung einen gänzlich anderen Eindruck. Dort behauptete er, Ratzingers Wissen um die pädosexuelle Vorgeschichte des Priesters H. zumindest für die Zeit nach der Ordinariatssitzung sei für ihn „überwiegend wahrscheinlich“. Dieser schwammig-schwebende Plausibilitätsbegriff fasste die subjektive Einschätzung des Gutachters zusammen, hatte aber keinerlei objektive Beleg- oder Beweiskraft. Deshalb stand er auch nicht im schriftlichen Gutachten. Begriff und Bewertung waren offensichtlich auf die Zuhörer der Präsentation gemünzt. Ihnen wurde der Eindruck von Ratzingers (vermeintlichem) Fehlverhalten vermittelt. 

Hatte der Gutachter zwischenzeitlich neue Erkenntnisse oder gar Belege bekommen? Natürlich nicht. Es scheint, dass er angesichts der Medienöffentlichkeit seine mündliche gutachterliche Bewertung änderte zulasten von Kardinal Ratzinger / Papst Benedikt.

Seriös war das nicht.

Doch der implizite Vorwurf gegen die Glaubwürdigkeit von Benedikt sollte nur der Auftakt sein für den folgenden Höhepunkt des Tribunals. Dr. Wastl leitete diesen Teil seines Vortrags folgendermaßen ein:

 „Der absolute Durchbruch“ sei für ihn gewesen, dass Benedikt in seiner Stellungnahme die Teilnahme an der vielfach erwähnten Ordinariatssitzung bestritten habe, obwohl doch drei harte Fakten für seine Sitzungsteilnahme sprächen.

Benedikts Sekretär Georg Gänswein hat am Tag nach der Gutachtenvorstellung versichert, dass Erzbischof Ratzinger selbstverständlich an der Sitzung teilgenommen habe. Die fehlerhafte Verneinung sei bei der Endredaktion versehentlich in den Text hineingerutscht. Diese Richtigstellung hatte den Hintergrund, dass ein kleines Team von Juristen den 93jährigen Papst bei der Abfassung der Stellungnahme zur Seite stand. Auch Wastl geht davon aus, dass die Stellungnahmen Benedikts „maßgeblich von seinen (juristischen) Beratern“ erarbeitet wurden (S. 176, 2. Teilband). Er bestätigte den Texteindruck nach Art einer gerichtlichen Verteidigungsschrift von Juristen, die nur das zugeben, was den Anklägern bekannt ist. Guido Horst titelte in der Tagespost vom 27. Januar: „O-Ton Ratzinger ist das nicht“.

 

Zu diesem prozessentscheidenden Vorgang sind Fragen an den Gutachter zu stellen:

• Der Kanzlei war die oben genannte offensichtlich fehlerhafte Aussage gleich beim Eingang der Stellungnahme aufgefallen, so berichtete Wastl. Wäre es da für den Gutachter nicht ein Gebot der Fairness gewesen, diese Ungereimtheit Benedikt zurückzumelden, so dass er sie noch vor der Veröffentlichung des Gutachtens hätte korrigieren können?

• Der Kanzlei-Jurist führte aus, dass er dem emeritierten Papst zahlreiche Berichte von Zeitzeugen und Betroffenen vorgelegt habe mit der Bitte um Stellungnahme, worauf der Papst auch eingegangen sei. Warum hatte er in diesem Falle dem Papst nicht das so entscheidende Protokoll der Ordinariatssitzung vom 15. 1. 1980 zur Verfügung gestellt, dass dem Papst und seinen beratenden Juristen nicht vorlag?

• Dr. Wastl berichtete von anderen Protokollvorlagen, zu der Benedikt gesagt habe: Wenn mein Name dort nicht als fehlend eingetragen ist, dann habe ich an der Sitzung teilgenommen (S. 177, 2. Teilband). Musste der Gutachter nicht im Falle der oben erwähnten Ordinariatssitzung von einem unabsichtlichen Versehen ausgehen, wenn der Papst trotz Nichterwähnung als Fehlender die Teilnahme an dieser Sitzung bestritt?

• Wenn der Jurist wirklich mit der gebotenen Unschuldsvermutung an die Ermittlungen gegen Papst Benedikt gegangen wäre, wie er das zu Anfang vorgab, hätte er ihm dann nicht zwingend Gelegenheit geben müssen, seinen Versehensfehler (wie sich später herausstellte) schon vorab zu korrigieren?

• Der Münchener Gutachter betonte bei seinem Vortrag, dass er seine Gutachtenuntersuchung als Ermittlungen geführt habe wie (ein staatsanwaltlicher Ankläger) zur Vorbereitung eines Strafprozesses. Darüber hinaus hat er (wie ein Richter) dem (beschuldigten) Papst Vorhalte gemacht mit Zeugenaussagen und Beteiligtenberichten, so dass er Stellung nehmen konnte. Wäre es bei diesem Verfahrensvorgang nicht sogar seine Pflicht gewesen, ihn mit dem einschlägigen Protokollinhalt und Benedikts ungereimten Aussagen zu konfrontieren, wie das etwa bei mündlichen Gerichtsverhandlungen von Seiten des Richters zu geschehen hat?

• Oder hat sich der Kanzlei-Rechtsanwalt in diesem Fall von der in der Medienöffentlichkeit verbreiteten Überzeugung von Ratzingers Schuld mitreißen lassen?

Problematisches Vorgehen ohne die gebotene Sorgfalt, Fairness und Pflicht

Nach den vorsichtigen Fragen zu dem diesbezüglichen Vorgehen des Dr. Wastl, dem der Autor für die Gesamtheit des Gutachtens Fairness und Ausgewogenheit gegenüber den Stellungnahmen Benedikt bescheinigen möchte, ist in diesem Fall deutliche Kritik angesagt. Die Kritik folgt den wenigen Stellen im Gutachten mit harschem Tonfall, etwa wenn Wastl von „einer nicht nachvollziehbaren Ignoranz (Ratzingers und anderer Führungskräfte) gegenüber dem betroffenen Mitbruder“ spricht (siehe oben).

Angesichts der katastrophalen Folgen für das Ansehen des Papstes durch die gutachterliche Beschuldigung der Unglaubwürdigkeit erscheinen die vorgängigen Entscheidungen des Kanzleijuristen als schändlich: Indem Dr. Wastl Papst Benedikt nicht auf dessen widersprüchliche Aussage hinwies, verschaffte er sich die Gelegenheit für einen formidablen Auftritt, bei dem er Benedikt völlig unnötig einer unwahren Aussage beschuldigte.

Auf dem Höhepunkt der Präsentationsveranstaltung spielte Wastl mit erkennbarer Süffisanz die Gründe auf, die Ratzingers Anwesenheit bei der betreffenden Sitzung bewiesen:
In der Eingangszeile des Protokolls war er nicht als abwesend notiert, somit nach üblicher Lesart als anwesend anzusehen. Dann hielt der Gutachter triumphierend das Protokollpapier hoch mit der Bemerkung: „Das muss ich nun dramaturgisch so machen und ihnen zwei Passagen des Protokolls vorlesen“. Dort heißt es: Der Kardinal berichtete von der Teilnahme an der Beerdigung von Kardinal Bensch in Berlin. Außerdem war von einem vertraulichen Treffen von Papst Johannes Paul II. mit einigen deutschen Bischöfen die Rede, um in der Causa Küng zu einer gütlichen Einigung zu kommen. Wastl folgerte mit Recht, hier könne nur Kardinal Ratzinger selbst gesprochen haben.

     Was der Jurist bei aller Bescheidenheit als Meisterleistung seiner „hartnäckigen“ 
     Untersuchungen darstellte, wurde nur dadurch von ihm selbst ermöglicht, dass er
     bei seiner vorherigen Ermittlungsarbeit der gebotenen Fairness und  Sorgfaltspflicht
     nicht nachgekommen war.

 Inszenierung eines Tribunals im Skandalinteresse der Medien

Nachdem Dr. Wastl als Ermittler und Ankläger fungiert hatte, spielte er sich nun als Richter auf mit dem Urteil: „Benedikts Einlassung ist wenig glaubwürdig“. Obgleich die Bewertung sehr zurückhaltend formuliert war, verstanden es die Zuhörer wohl als Schuldurteil über den emeritierten Papst.

Die Selbststilisierung des Vortrags als dramaturgisch legt nahe, dass die Präsentation des Gutachtens als Inszenierung eines Tribunals über die katholische Kirche im Allgemeinen und Papst em. Benedikt im Besonderen angelegt war. Jedenfalls wurde das Skandalinteresse der Medien bedient:

Die Moderatorin der Gutachtenvorstellung, Barbara Leyendecker, zitierte gleich zu Anfang eines der pauschalen Urteile der Journalistin Christiane Florin, die vielfach mit ihren überzogenen Beiträgen kein gutes Haar an der Kirche lässt. Demnach sei die Kirche ein „Verantwortungsverdunstungsbetrieb“. In ihr würden die ethischen Grundsätze unter einem spirituellen Nebelschleier sowie mit amtstheologischen und juristischen Felsbrocken begraben. Damit setzte die Moderatorin den Interpretationsrahmen für die folgenden Ausführungen: die Darstellung der begutachteten Missbrauchsfälle im Sinne der medialen Schuldvermutung zu verstehen, das einzelnes Fehlverhalten von Bischöfen als Beleg für die Schuldgeschichte der Kirche anzusehen.

In ihrem allgemeinen Einführungsbeitrag zum Gutachten bestärkte Dr. Marion Westphal dieses framing, indem sie als „erschreckende Phänomene“ skandalisierte, was im schriftlichen Gutachten sachlich nüchtern und fachlich korrekt als „pflichtwidriges bzw. unangemessenen Verhalten“ von kirchlichen Führungskräften bezeichnet wird. Dr. Ulrich Wastl begann seinen Vortrag, der in dem Schuldspruch gegen Benedikt endete, mit dem Skandalwort von der „Bilanz des Schreckens“. Damit waren Assoziationen gesetzt von der Kirche als Schreckenskammer oder gar Schreckensherrschaft. 

Die Medien verstanden den Wink von Wastl. Dpa titelte: „Bilanz des Schreckens. Gutachten belastet Benedikt“. Der Spiegel setzte wie immer noch eins drauf: „Irreparabler Schaden durch Benedikt“. Ein Tagesspiegel-Redakteur glaubte zu wissen, dass „Ratzinger sein Leben in Schande beschließen werde“.

 

Bild und FAZ einig in der Bezichtigung der vorsätzlichen Lüge

Bemerkenswert ist, dass sich die Bild-Zeitung mit der Frankfurter Allgemeinen, Zeitung für Deutschland, einig war, den Papst der vorsätzlichen Lüge zu bezichtigen. Bild bestätigte damit seine Agenda, in der Stimmungsmache des Boulevards zu agieren: Dem neugewählten Papst Benedikt hatten die Bild-Journalisten 2005 ein ‚Hosianna‘ bereitet („Wir sind Papst“). Als er jetzt bei der Gutachtenvorstellung zur medialen Hinrichtung präsentiert wurde, stand das Blatt im Kreuzigungs-Chor an vorderster Stelle, um Benedikt in seinem öffentlichen Ansehen zu vernichten.

Aber welche Agenda verfolgte der FAZ-Journalist Daniel Deckers mit seiner Titel-Zeile „Benedikts Lüge“? Deckers behauptet in der Ausgabe vom 21. 1. 2022: Der vormalige Papst „hat die Gutachter belogen – und das mit Vorsatz“. Ratzinger habe „den Juristen und damit der Öffentlichkeit (…) offenkundig die Unwahrheit gesagt“. Die Beschuldigung von Ratzingers „manifester Lüge“ platzierte er noch ein drittes Mal.

Die Beurteilung einer Aussage als Lüge beinhaltet, dass der Beschuldigte im Wissen um die Falschheit seiner Aussage handelte, eben mit Vorsatz oder Absicht. Der Gutachter hat an keiner Stelle von einer Lüge gesprochen, weil er (und auch Deckers) nicht wissen konnten, ob die Ratzinger-Aussage aus Vorsatz oder Versehen getätigt wurde. Jeder FAZ-Redakteur lernt in seinem Volontariat, dass man Tatsachenbehauptungen über Motive eines Handelnden tunlichst vermeiden sollte. Warum tat der erfahrene Journalist es trotzdem?

Der Kontext von Deckers Lügen-Konstrukt gibt vielleicht Aufschluss über seine Agenda. Der FAZ-Redakteur will die vermeintliche Lüge Benedikts in einer Reihe mit anderen dunklen biografischen Handlungen und lebensgeschichtlichen Schattenseiten erkennen. Er führt aus, „dass über dem Wirken Ratzingers ein Schatten liegt, der seine moralische Autorität noch mehr verdunkelt als alles frühere angebliche Nichtwissen, etwa im Streit mit den deutschen Bischöfen in den Neunzigerjahren über die Schwangerschaftskonfliktberatung“. Daniel Deckers dürfte als Biograf von Kardinal Lehmann, dem damaligen DBK-Vorsitzenden, sehr detaillierte Kenntnisse haben über die Umstände und Personen des damaligen Konflikts mit Papst und Kurie. Daher müsste er auch wissen, dass der damals auf die Beratungsscheinvergabe beharrende Bischof Franz Kamphaus bestätigte, er habe sich in allen Gesprächen in Rom mit Kardinal Ratzinger fair behandelt gefühlt.

Anscheinend reiht sich Deckers in die Reihe der Journalisten und Theologen ein, die das gesamte kirchlich-theologische Lebenswerk von Joseph Ratzinger attackieren und desavouieren. Dazu gehört auch die ehemalige Nonne und jetzige Kirchenwutbürgerin Doris Reisinger, wenn sie im Kölner Stadtanzeiger schreibt: „Wir wissen (!) jetzt, dass Ratzinger bereit ist, öffentlich zu lügen, um sich seiner Verantwortung zu entledigen. Wie dreist und verzweifelt muss man sein, um so etwas zu tun?“ Reisinger hat im März 2021 ein Buch herausgebracht mit dem Co-Autor Christoph Röhl, der vor zwei Jahren in einem Film eine vernichtende Papstbiographie vorgestellt hatte. Die Autoren unterstellen laut Buchklappentext, dass Joseph Ratzinger als Kardinal und später als Papst durchgehend die Vertuschungspraxis der Kirche geduldet, gepflegt, gefördert und ideologisch durch das „System Ratzinger“ abgesichert habe. Kaum etwas von den großspurigen Behauptungen können sie wirklich belegen.

 

Darf ein Generalvikar einem überführten Missbrauchstäter Gottes Segen wünschen?

Der Limburger Bischof Georg Bätzing sprach von „desaströsem Verhalten“ - ausdrücklich mit Bezug auf Ratzinger / Papst Benedikt. Dabei benutzte er nicht die sachliche Formulierung des Gutachtens von „pflichtwidrigem bzw. unangemessenem Verhalten“ der Führungskräfte im Bistum München, sondern griff auf die Skandalisierungssprache der Medien zurück.

Dem Bischof wird dabei bewusst gewesen sein, dass sein Verhalten zu Missbrauchsfällen während seiner vierjährigen Zeit als Generalvikar im Bistum Trier in den nächsten Jahren ebenfalls Gegenstand eines Gutachtens sein wird. In einem stern-Interview vom Dezember 2021 nimmt er schon Mal vorab für sich in Anspruch, nicht und nie vertuscht zu haben. Doch der stern hielt ihm in einem Missbrauchsfall Fehlverhalten vor. Bätzing hatte in einem Brief an einen überführten Trierer Missbrauchstäter dem Kleriker Gottes Segen gewünscht. Bätzing wies den Interview-Vorwurf zurück, Täterschutz vor Opferschutz gestellt zu haben (was man auch Kardinal Ratzinger unterstellte). Er rechtfertigte seinen damaligen Segenswunsch an den übergriffigen Priester als „nicht verwerflich“. Außerdem sei die inkriminierte Briefpassage, die der Spiegel veröffentlicht hatte, aus dem Zusammenhang gerissen. Man müsste den ganzen Brief lesen. Bätzing verteidigte sich und sein Vorgehen, was sein gutes Recht ist. Er warb bei dem Medienmann darum, bei der Bewertung seiner damaligen Entscheidung alle Kontexte zu berücksichtigen. Seiner Erwartung, dass die Medien sein Verhalten als Generalvikar mit Fairness behandeln, möchte man gern Erfüllung wünschen.

Das skandalisierende Medienecho auf den Missbrauchsbericht zum Bistum München zeigt dagegen alles andere als faire Berichterstattung. Man stelle sich vor, den Münchener Gutachtern wäre ein Brief von Erzbischof Ratzinger in die Hände gefallen, in dem dieser dem überführten Missbrauchspriester Peter H. Gottes Segen gewünscht hätte. Gegen Papst Benedikt sind die Medien schon Sturm gelaufen, als er sein Recht auf Verteidigung gegen unbegründete Vorwürfe wahrnahm. Doch bei dem oben vorgestellten Fall wäre der mediale Sturm der Entrüstung dann sicherlich zu einem Orkan angeschwollen.

Auf diesem Hintergrund verwundert es schon, dass der Limburger Bischof die Äußerungen seines bischöflichen Mitbruders Ratzinger nicht in sachlicher Sprache kommentiert, sondern Assoziationen zur skandalisierenden Mediensprache weckt. 

 Hubert Hecker