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                                                                                              29.7.2024

„Kostbarer als Gold“ (1 Petr 1,7)

Der Glaube an Jesus Christus und die Seelsorge der Kirche

 

 Prof.  Dr. theol. Hubert Windisch

1. Wenn man die kirchliche Situation in unseren Breitengraden nüchtern wahrnimmt, muß man durchaus von einer Kirchendämmerung sprechen. Viele Dinge, die das belegen, könnte man aufzählen. Ich erwähne nur die vielen Kirchenaustritte in den letzten Jahren: 2022 über 500000, also Freiburg gut 2x weg, und 2023 über 400000, also Amberg gut 10x weg. Ich möchte aber zu Ihrem vielfachen Kirchenjubiläum keine Jammerpredigt halten, sondern die Augen öffnen für eine grundlegende und damit auch erfüllende Seelsorge der Kirche in heutiger Zeit. Man versucht zwar quer durch die Diözesen mit Pastoralplänen verschiedenster Art der immer komplizierter werdenden Situation Herr zu werden, die auch das Vorzeichen des Priestermangels trägt. Allerdings ist der Verdacht nicht von der Hand zu weisen, daß dadurch alles oft noch komplizierter, umständlicher, bürokratischer, unübersichtlicher wird und vor allem unglaublich viel Kraft und Zeit nach innen verwendet wird, um letztlich doch irgendwie das Bisherige unter neuen Zuordnungen aufrechtzuerhalten. Das allenthalben festzustellende Ergebnis ist oftmals eine eigenartige lähmende Betriebsamkeit. Und es scheint vielerorts (in den Ordinariaten ebenso wie in den Pfarreien) ein Bonmot von Mark Twain Wirklichkeit geworden zu sein, der einmal gesagt hat: Nachdem wir das Ziel endgültig aus den Augen verloren hatten, verdoppelten wir unsere Anstrengungen.

  2. Was aber ist das Ziel kirchlicher Seelsorge? Hören wir eine weltliche Stimme: Der Leiter des Instituts für neue soziale Antworten (INSA) in Erfurt, Hermann Binkert, wertete vor einigen Jahren eine Umfrage „Wie viele Atheisten leben in Deutschland?“ (vgl. kath.net vom 7. März 2013) dahingehend aus: „Die Menschen sind offen für den Glauben an Gott, aber sie sehen die Kirchen offensichtlich immer weniger als Begleiter in Glaubensfragen. Daß sich viele Menschen von ihnen abwenden, muß die Kirchen nachdenklich machen. Werden sie ihrem eigentlichen Auftrag noch gerecht?“ Ähnlich hat vor kurzem der jüdische Historiker Michael Wolffsohn in der NZZ argumentiert. Die Menschen spüren, was vor fast hundert Jahren Antoine de Saint-Exupéry, der literarische Vater des Kleinen Prinzen, prophezeite: „Wenn Menschen gottlos werden, dann sind Regierungen ratlos, Lügen grenzenlos, Schulden zahllos, Besprechungen ergebnislos, dann ist Aufklärung hirnlos, sind Politiker charakterlos, Christen gebetslos, Kirchen kraftlos, Völker friedlos, Sitten zügellos, Mode schamlos, Verbrechen maßlos, Konferenzen endlos und alle Aussichten trostlos.“

 3. Es käme also bei allem Einsatz in der Seelsorge darauf an, den Glauben an Gott, näherhin an Jesus Christus zu wecken. Denn, so Papst Benedikt XVI. bei seiner letzten Audienz als Papst am 27. Februar 2013 auf dem Petersplatz, die Kirche ist zuallererst dazu da, damit die Menschen von heute den Glauben an Jesus Christus als kostbarstes Gut entdecken und so ihr Leben mit der Wirklichkeit Gottes in Berührung bringen können. Die Kirche, eine Diözese, eine Gemeinde, eine Pfarrei vor Ort muß also wieder als Glaubensraum entdeckt und belebt werden. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“, mahnt der Prophet Jesaja im 8. Jahrhundert vor Christus (Jes 7,9). Dieser Vers 7,9 führt uns ins Zentrum des Glaubensverständnisses, um das es in der Seelsorge gehen sollte. Im Hebräischen lautet der Satz sehr poetisch: im lo ta aminu ki lo te amenu. Und es wird deutlich, daß es sich dabei um ein Wortspiel mit der Wurzel aman handelt, deren Grundbedeutung mit „fest, sicher, zuverlässig sein“ umschrieben werden kann. Die bekannteste begriffliche Ableitung ist das Adverb amen, das aus unserer Liturgie als abschließende Bekräftigung der Gebete und beim Empfang der heiligen Kommunion nicht wegzudenken ist. „Amen“ ist dabei keine neutrale Aussage, sondern ein Engagement. Wer amen sagt, verpflichtet sich zur imitatio Dei gemäß Lev 19,2: „Ihr sollt heilig sein, denn heilig bin ich, JHWH, euer Gott!“ Im Neuen Bund schließlich, als Gott sich in dieser Endzeit unverbrüchlich und unüberbietbar durch seinen Sohn ausgesprochen hat (vgl. Hebr 1,1-2), wird die imitatio Dei zur imitatio Jesu Christi, an den wir im Sinne von aman glauben, in dessen Wort und Leben wir uns festmachen und bleiben sollen (vgl. Joh 14,1; 8,31-32; 15,1-17). Von daher versteht sich fast von selbst, daß kirchliche Seelsorge im tiefsten nichts anderes sein kann als eine an Jesus (AT) Christus (NT) orientierte und zu ihm hinführende Glaubenspastoral.

 4. Dazu ist zuallererst ein Innehalten notwendig, damit dieses eine Notwendige kirchlicher Seelsorge nicht aus dem Blick gerät. Das mag nicht nur paradox erscheinen, das ist sogar paradox in den Augen der Welt und geschäftiger Christen in der Kirche. Man muß doch schnell sein, man muß immer sofort anpacken, um Probleme zu lösen. Aber dieses Innehalten kann den heilsamen Effekt einer paradoxen Intervention haben. Denn wie können Gehetzte Gehetzten und Blinde Blinden den Weg weisen (vgl. Mt 15,14)? „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt; das soll ihr nicht genommen werden“ (Lk 10,42). Was aber ist das eine Notwendige? Das Sein bei Ihm, denn ohne Ihn können wir nichts vollbringen (vgl. Joh 15,5). Dieses Jesuswort aus dem Weinstockgleichnis ist wörtlich zu nehmen. Auf Latein lautet es: Sine me nihil potestis facere. Binden wir die beiden Aussagen Jesu in Lk 10 und Joh 15 zusammen, dann entsteht in der Seelsorge pastoraler Nihilismus, wenn wir uns nicht zumindest immer wieder mühen, das Bessere zu wählen. Wählen wir jedoch das Bessere, also das Sein bei Ihm, dann entsteht eine Seelsorge der Langsamkeit, die nicht Untätigkeit bedeutet oder mangelndes Interesse an den Zeitläuften und den darin verstrickten Menschen von heute, sondern aus der Haltung der Geduld heraus durchaus energisch und eifrig das biblische Fruchtbringen in den Mittelpunkt unseres seelsorglichen Mühens stellt. (Ammersricht: Der heilige Bruder Konrad, Ihr Pfarrpatron, möge uns dabei Vorbild und Fürsprecher sein!)

 5. Die bisherigen Überlegungen provozieren also die Erkenntnis, daß kirchliche Seelsorge, die Glaubenspastoral sein möchte, sich bei all ihren Aufgaben in all ihren Tätigkeitsfeldern (Martyria, Leiturgia, Diakonia) auf das Wesentliche konzentrieren muß, damit die Menschen durch die Seelsorge (frei nach Ignatius von Loyola, vgl. die zweite Vorbemerkung zum Exerzitienbuch) ihr Leben von innen her verspüren und verkosten können. Das Innerste meines Lebens aber ist Gott in Jesus Christus, der das Heil der sündigen Welt ist (so Johann Michael Sailer). Die Beziehung zu Ihm steht im Mittelpunkt kirchlicher Seelsorge. Und diese Beziehung ist im tiefsten nichts anderes als die Einübung und Praxis von Gebet in all seinen Formen.                                                                      

6. Dann gilt auch uns die Zusicherung des Apostels Petrus, die er in sehr unruhigen Zeiten vor dem Hintergrund aufkommender Christenverfolgungen in seinem ersten Brief an die Gemeinden in Kleinasien ausrichten ließ: „Ihr seid voll Freude, obwohl ihr jetzt vielleicht kurze Zeit unter mancherlei Prüfungen leiden müßt. Dadurch soll sich euer Glaube bewähren, und es wird sich zeigen, daß er wertvoller ist als Gold, das im Feuer geprüft wurde und doch vergänglich ist. So wird eurem Glauben Lob, Herrlichkeit und Ehre zuteil bei der Offenbarung Jesu Christi“ (1,6-7).

Amen.