Der deutsche Synodale Irrweg (8)
Täuschungsmanöver und arrogante Schachzüge für die irreguläre Synode
Von Hubert Hecker
Zusammenfassung: Die Deutsche Bischofskonferenz missbrauchte die MHG-Missbrauchsstudie als Vorwand, um die vier Synodalforen mit der Ausarbeitung von weitreichenden Strukturveränderungen sowie weltkirchliche Fragen zu beauftragen. Gegen diese Anmaßung richtete sich der Papstbrief vom Juni 2019, der angesichts des dramatischen Rückgangs von Glauben und Kirchlichkeit den Primat der Evangelisierung forderte. Kardinal Marx gelang es mit Verdrehung und Täuschung die Anliegen von Papst und Kurie auszukontern: Die Synodalversammlung soll weiterhin primär an Strukturreformen arbeiten ohne Bindung an das Evangelium, die kirchliche Lehre und kirchenrechtliche Prozessregeln. Dieses Vorgehen nannte eine Synodalin das Recht auf „Narrenfreiheit“.
Die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2018 in Fulda befasste sich schwerpunktmäßig mit der MHG-Studie zu Missbrauch in der Kirche. Nach den Empfehlungen der Studie verpflichtete sich die Bischofsversammlung zu zwei Handlungssträngen der Aufarbeitung:
- Zum einen wurde ein Maßnahmenkatalog in fünf Teilprojekten aufgestellt: unabhängige Missbrauchsaufarbeitung mit Betroffenen und externen Fachleuten, Leistungen zur Anerkennung des zugefügten Leids, unabhängige Anlaufstellen für Betroffene, Standardisierung in der Führung der Personalakten der Kleriker, Monitoring für Intervention und Prävention. Arbeitsgruppen mit ähnlichen Aufträgen sind auch in einigen Diözesen eingerichtet worden. Auf nationaler wie diözesaner Ebene ist die Arbeit an den Projekten mit Beschlüssen und Veröffentlichungen vorangeschritten. Die Projekt- und Präventionsaufgaben sind im Wesentlichen berechtigt. Zu dem Komplex: ‚Leistungen zur Anerkennung des zugefügten Leids‘ hat die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz 2020 den Beschluss gefasst, in allen Diözesen einheitlich vorzugehen. Die Umsetzung in diesem und den anderen Punkten soll hier nicht weiter kommentiert werden.
- In einem zweiten Aufarbeitungskomplex ging es um die Empfehlungen zu dem dritten Projektziel der MHG-Studie: Identifizierung von „kirchlichen Strukturen“ einschließlich der Morallehre, die das Missbrauchsgeschehen begünstigt hätten. Die Bischöfe nannten damals ausdrücklich die „zölibatäre Lebensform“ und „Aspekte der katholischen Sexualmoral“. Die sogenannten systemischen Ursachen sollten gemeinsam mit Wissenschaftlern und Vertretern des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in einem „strukturierten Gesprächsprozess“ erörtert werden. Damit waren die Grundzüge des Synodalen Wegs festgelegt. In der Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe erfolgte im März 2019 der einstimmige Beschluss zur Synodalversammlung mit drei (später vier) Arbeitsthemen in Foren. Wiederum ein halbes Jahr später beschloss die DBK-Versammlung mehrheitlich die Synodalstatuten mit 51 Ja-Stimmen, 12 Gegenstimmen und einer Enthaltung.
Dieser zweite Handlungsprozess der DBK ist äußerst problematisch. Die kritischen Punkte sollen hier im Überblick zusammenfassend rekapituliert werden. Im zweiten Teil dieses Beitrags wird der synodale Prozess unter die Lupe genommen.
Vorurteile und Täuschungsmanöver zum Forumsthema Sexualmoral
Zu dem Forumsthema Neukonzeption der katholischen Sexualmoral gab es in der MHG-Studie keine substantiellen Aussagen und erst recht keine entsprechende Empfehlung. Die Wissenschaftler hätten sich lächerlich gemacht mit der Behauptung, dass die traditionell strenge Sexualmoral der Kirche den Missbrauch von Katholiken und insbesondere von zölibatären Priestern begünstigt hätte. Es war also ein Täuschungsmanöver, das Missbrauchsgeschehen als Vorwand für eine grundlegende Neufassung der katholischen Sexualmoral zu missbrauchen.
Nur am Rande sprach die Missbrauchs-Studie ein Randthema der kirchlichen Sexuallehre an. Im zweiten Teilprojekt stellten die MHG-Professoren nach einfühlsamen Interviews mit hauptsächlich homosexuellen Missbrauchsklerikern die „Vermutung“ in den Raum, dass „gesellschaftliche Tabuisierung von gleichgeschlechtlichen Beziehungen … sowie eine für Teile der römisch-katholischen charakteristische Homophobie zum sexuellen Missbrauch an Minderjährigen beigetragen haben könnte“. Manfred Lütz nannte es einen „Tiefpunkt“ von wissenschaftlicher Arbeit, „ohne jede Datengrundlage“ vage Mutmaßungen anzustellen zur Ursächlichkeit von Missbrauch in kirchlichen Lehrelementen.
Doch die DBK-Bischöfe übernahmen diese vorurteilsbehafteten Annahmen ohne jede Erörterung. Die unbegründeten Vermutungen von Professoren mutierten dabei zu angeblich wissenschaftlichen Erkenntnissen. Mit der Übernahme der Thesen war unverkennbar das Ziel verbunden, die kirchliche Lehre zur Homosexualität über Bord zu werfen. Auch dieser Punkt gehört zu den unlauteren Vorgehensweisen in der Begründungsgeschichte zum Forumsthema Sexualmoral.
Abgekartetes Spiel zwischen DBK-Führung und MHG-Autoren
Zu dem Forumsthema „zölibatäre Lebensform“ findet sich in den Empfehlungen der MHG-Studie nur eine Hypothese ohne jede weitere Begründung: Der Zölibat könne „keine alleinige Erklärung für sexuellen Missbrauch“ sein, aber eben doch „ein möglicher Risikofaktor“. Mit den Zahlen und Daten der Teilprojekte ist diese These weder verbunden noch wissenschaftlich zu belegen. Die Behauptung vom Risikofaktor Zölibat ist eine halbgare parteiische Meinungsäußerung, die in einer wissenschaftlichen Untersuchung nichts zu suchen hat. Der unwissenschaftliche Charakter der Zölibats-Aussage zeigt sich auch daran, dass sich die MHG-Autoren nicht mit den Forschungsergebnissen der Professoren Kröber, Pfeiffer, Leygraf u. a. auseinandersetzten, nach denen der Zölibat ein protektiver Schutzfaktor für Missbrauchsversuchungen ist. Die Mutmaßungen der MHG-Autoren über den „möglichen Risikofaktor Zölibat“ hatten den Relevanzwert einer Meinung bei Straßenbefragungen.
So steht die Frage im Raum, warum die unbegründete Meinungsmache gegen den Zölibat so viel mediale und kirchliche Beachtung entfaltete. Die Autoren hatten diese und andere „angeblich spektakulären Ergebnisse“ (M. Lütz) an kirchenspezifischen Strukturmängeln an den Anfang ihrer Studie gesetzt, um größtmögliche Medieneffekte zu erreichen, was in der zölibatskritischen Medienöffentlichkeit auch gelang. Darüber hinaus entsprach diese „Empfehlung“ dem Projektziel der 1,2 Mill. Euro teuren Studie, wonach kirchlich-systemische Ursachen für Missbräuche präsentiert werden sollten. Es war also ein abgekartetes Spiel, als Kardinal Marx als Vorsitzender der DBK bei der MHG-Publikation im Herbst 2018 verkündete, der Zölibat sei für die ergebnisoffene Diskussion freigegeben und müsse „auf den Prüfstand gestellt“ werden“ (katholisch.de vom 5. 10. 2018). So schließt sich der Kreis: Die von der DBK-Führung gewünschten und gewollten kirchenkritischen Empfehlungen der Missbrauchsstudie konnten als Vorwand für die von progressiven Kirchenkräften schon länger geplante Aufweichung des Zölibats genutzt werden.
Mit der Keule des Klerikalismus gegen das sakramentale Priestertum und bischöfliche Vollmacht
Für das Forumsthema „Macht und Gewaltenteilung“ bedienten sich die DBK-Bischöfe wieder aus dem Empfehlungskasten der MHG-Studie. In einer schmalen Passage sprechen die Autoren Kritik an klerikalistischen Strukturen an. Unter der Klerikalismus-Theorie, 2003 erstmals von einem englischen Kanonisten Doyle aufgestellt, versteht die Studie „das hierarchisch-autoritäre System“ der Kirche. Das könne auf Seiten der Priester zu der Haltung führen, Amt und Weihe für Dominanz über Laien und zur Anbahnung von Missbrauch zu gebrauchen. Zu dieser Doyle-Hypothese gibt es keine wissenschaftsfundierten Auseinandersetzungen. Im 7. Teilprojekt der MHG-Studie, in dem die Anklagen der Opfer zur Sprache kommen, spekulieren die Autoren über „klerikale Strukturen“. Bei der Analyse der einzelnen Missbrauchsfälle zeigt sich dagegen, dass die meisten nicht in das Klerikalismus-Schema passen, wie im fünften Beitrag der Serie aufgezeigt wird. Jedenfalls kann die sechzehnzeilige MHG-Passage zum Klerikalismus, die ohne Bezug zu den ermittelten Daten an die Studie beziehungslos angeheftet wurde, den Arbeitsgruppen des Synodalen Wegs keine solide Basis bereitstellen.
Aus welchen Gründen aber erfreute sich die schwach fundierte Klerikalismusthese bei Papst, Bischöfen und Theologen so großer Beliebtheit? Bisher war das Wort ‚Klerikalismus‘ nur als Kampfbegriff von selbsterklärten Kirchenfeinden laizistisch-freimaurischer Provenienz bekannt. Was aber treibt Kirchenleute dazu, in diese Kerbe zu hauen? Sie können sich damit erstens als fortschrittlich und institutionskritisch präsentieren. Das Wort ‚Klerikalismus‘ weckt Assoziationen zu dem konservativen Kirchensektor, auf den man die angeblichen oder wirklichen Missstände abschieben kann. Und schließlich kann man mit dem Begriff der ‚übergriffigen Klerikern‘ von der Großzahl an post-klerikalen Missbrauchspriestern ablenken (vgl. Serienbeitrag 5).
Im Synodalforum zur ‚Macht und Gewaltenteilung‘ wird die angebliche „Machtfülle“ von Bischöfen und Priestern als klerikalistisch denunziert. Die gesamte hierarchische Kirchenstruktur soll entsprechend den Standards der modernen demokratischen Verfassungsstaaten nach den Kriterien Legitimation, Gewaltenteilung, Machtkontrolle, Partizipation und Gleichberechtigung der Geschlechter umgebaut werden, heißt es in dem Papier der vorbereitenden Arbeitsgruppe für das Forum. Schließlich sei mit der Beauftragung von Frauen in Führungspositionen und Weiheämter die „männerbündische Abgeschlossenheit des Klerus“ aufzubrechen – so Stimmen zu dem vierten Forum.
Die Stunde der progressiven Theologen …
Auf der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im März 2019 setzte die DBK-Führung unter dem dramatisierenden Motto: „Die Kirche in Deutschland erlebt eine Zäsur“ folgende Eckpunkte:
- Was nach den Mutmaßungen und Meinungen der MHG-Studie als missbrauchsfördernde kirchliche Strukturen und Lehren erwogen worden war, wurde nunmehr von Kardinal Marx ohne weitere Erörterung als wissenschaftlich bewiesene Tatsache behauptet. ?????
- Daraus resultiere die Forderung nach tiefgreifenden Reformen dieser kirchlichen Sektoren und Systeme.
- Drei Hochschultheologen markierten in ihren Studientag-Referaten die Reichweite der Kritik und gaben Empfehlungen für die „Neuausrichtung“ der Kirche:
Prof. Eberhard Schockenhof / Freiburg stellte die kirchliche Sexualmoral als lebensfremd und teilweise anachronistisch vor, um sie mithilfe humanwissenschaftlicher Erkenntnisse neu zu konzipieren als ‚lebensnahe und menschengerechte Sexualethik‘.
Prof. Philipp Müller / Mainz folgerte aus der krisenhaften Situation der priesterlichen Lebensgestaltung eine Reform in den Zugangsbedingungen zum Priestertum – auch mit der Aufhebung des Zölibats und dem Zugang von Frauen zu kirchlichen Ämtern.
Prof. Gregor Maria Hoff / Salzburg forderte eine radikale Säkularisierung von kirchlich-sakramentaler Macht, da der Klerus sich mit der Sakralisierung gegen Kritik immunisiere und für seinen Statuserhalt instrumentalisiere.
… für den DBK-Beschluss zu einer fatalen Agenda
Durch die Auswahl der Referenten bzw. ihre inhaltliche Beauftragung hatte sich die DBK-Führung zu weitreichenden kirchlichen Strukturveränderungen bekannt, die weitgehend von dem ursprünglichen Anlass gelöst waren. Trotzdem hielt Kardinal Marx in seiner Presseerklärung an der Fiktion fest, dass die Reformagenda Grund und Begründung allein in den Missbrauchsvorkommnissen hätten: Wegen der „Fälle klerikalen Machtmissbrauchs“ sei die klerikale Machtstruktur der Kirche und der Zölibat in Frage zu stellen sowie die kirchliche Sexuallehre neu zu konzipieren.
Auf dieser Basis beschlossen dann die deutschen Bischöfe einstimmig, gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken einen „synodalen Weg der offenen Debatte“ zu den kirchlichen Reformvorhaben zu gehen. Drei Arbeitsgruppen bereiteten aufgrund der Referate die späteren Foren vor. Die folgende vierschrittige Argumentation aus der Presseerklärung von Kardinal Marx sollte das grundlegende Narrativ werden, mit dem der Synodale Weg seither begründet wird:
Die „Erschütterungen“ durch die Missbräuche von Klerikern verlangten /
dass die „Blockierungen des Denkens“ und Redens fallen müssten /
um für „neue Positionen und neue Wege“ offen zu sein /
damit nach den Strukturreformen der Glaube wieder „wachsen und tiefer werden“ könne.
Mit dieser Argumentationsfigur hatten die Bischöfe eine fatale Agenda eingeleitet. Angesichts des allgemeinen Glaubensverlustes und des Rückgangs der kirchlichen Beteiligung, auf die die Päpste Benedikt und Franziskus mehrfach hingewiesen haben, verfolgte die Deutsche Bischofskonferenz nicht den naheliegenden Primat der Evangelisierung, sondern versteifte sich auf die Priorität von Strukturreformen. Und entgegen aller Logik und Erfahrungen behaupten sie, nach Beseitigung von diesen angeblichen „Blockierungen“ würden sich wieder wachsender Glauben und blühende Kirchenlandschaften einstellen.
Der kritische Papstbrief zu dem synodalen Irrweg der kirchlichen Strukturreformen…
In der päpstlichen Kurie wurden die Vorhaben der DBK mit großer Sorge wahrgenommen. Im Hintergrund standen die anmaßenden Beschlüsse der Deutschen Bischofskonferenz vom Frühjahr 2018, nach denen nicht-katholischen Ehepartnern die Kommunion gereicht werden könnte. Bei jener Entscheidung und auch wieder bei den Beschlüssen vom Frühjahr 2019 ging es um weltkirchlich relevante Fragen wie das Verhältnis zum Protestantismus, kirchliche Lehre, Zölibat, Hierarchie etc. Nach Recherchen der Herder-Korrespondenz seien im Mai 2019 die Spitzen der Glaubens-, Klerus- und Bischofskongregation gemeinsam mit Kardinal-Staatssekretär Pietro Parolin übereingekommen, beim Papst ein Schreiben anzuregen, in dem er die Deutsche Bischofskonferenz an die Einheit mit Rom erinnern solle.[1] Franziskus habe sich das Anliegen zu eigen gemacht und zu einem Grundsatzschreiben an das „pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ ausgeweitet.
Der Papstbrief mit Datum vom 29. Juni 2019, dem Fest der Apostelfürsten Petrus und Paulus, geht mit keinem Wort auf die Missbrauchsvorfälle ein. Indem Franziskus die sexuellen Übergriffe von sündigen Priestern mit Recht nicht als Anlass für eine Reformagenda ansieht, legt er indirekt einen kritischen Einwand gegen das entsprechende Begründungskonstrukt der DBK-Bischöfe vor. Der Papst zeigt dagegen andere Gründe für eine not-wendige Reformagenda auf: Mit Rückgriff auf Analysen von Papst Benedikt beklagt Franziskus „die zunehmende Erosion und den Verfall des Glaubens“ in der Kirche in Deutschland. Die Glaubenskrise zeige sich „in einem drastischen Rückgang der Besucher der Sonntagsmesse sowie beim Empfang der Sakramente“.
Aus dieser päpstlichen Analyse der Krise des Glaubens und der Kirchlichkeit folgt eine völlig andere Reformagenda als die der DBK-Bischöfe. Franziskus kritisiert unverblümt den falschen Weg, „einen strukturellen, organisatorischen und funktionalen Wandel“ einleiten zu wollen. Sondern man müsse unsere geistlich abgestorbenen Gemeinden neu evangelisieren. Der „Weg der Reform von Strukturen, Organisationen und Verwaltung“ sei eine Versuchung des Pelagianismus, der im Vertrauen auf die Reorganisation der Dinge gerade die lebendige Kraft des Evangeliums und seine missionarische Dynamik abwürgt. Damit käme man vielleicht zu einem „gut strukturierten, funktionierenden und modernisiertem kirchlichen Organismus“, aber „ohne Seele und die Frische des Evangeliums“. Solche Ansätze stammten aus einer „verweltlichten Geisteshaltung“, die die Kirche „an den Zeitgeist anpassen“ will. Franziskus verweist dabei auf ein Wort aus seinem Schreiben Evangelii gaudium von der „erstickenden Weltlichkeit“ einer „verweltlichten Kirche unter spiritueller und pastoraler Drapierung“.
Kann man noch deutlicher ausdrücken, dass sich die Mehrheit der deutschen Bischöfe mit den Strukturreformen des Synodalen Wegs auf dem Irrweg befindet?
Um diese Fehlentwicklung zu vermeiden, müssten alle Erneuerungen mit dem „Primat der Evangelisierung“ beginnen. Die sei das „Leitkriterium einer pastoralen Bekehrung schlechthin“. Von den deutschen Bischöfen verlange dieser „geschichtliche Moment“ ein ernsthaftes und bewusstes Herangehen im neuen Hören auf die Worte des Evangeliums. Der Papst zitiert in seinem Brief vielfach neutestamentliche Schriftworte.
Die DBK-Bischöfe haben die päpstliche Ermahnung zur geistlichen Erneuerung aus dem Geist des Evangeliums weitgehend ignoriert. Sie beharren auf pelagianischen Strukturveränderungen. In ihren Schriften findet man kaum etwas von der Hinwendung zu den Worten des Evangeliums. In den Texten zur Synode und den Synodalforen kommen Verweise auf die biblische Grundlage des Glaubens praktisch nicht vor. Der Antrag von einigen Bischöfen, statt Strukturveränderungen die Glaubenserneuerung durch Evangelisierung zum Mittelpunkt der Synode zu machen, wurde von der synodalen Vollversammlung mit großer Mehrheit abgelehnt.
In weiteren Ausführungen zur Synodalität betont der Papst die Beteiligung der Gläubigen an Erneuerungsprozessen sowie die Kollegialität der Bischöfe einer Teilkirche. Besonderes Augenmerk richtet er auf die weltkirchliche Synodalität. In Zeiten starker Fragmentierung und Polarisierung sei der Sensus Ecclesiae bei allen Debatten außerordentlich wichtig. Insbesondere müssten die Teilkirchen in allen Beratungen und Prozessen stets in lebendiger „Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche“ bleiben. Auch in diesem Hinweis steckt eine deutliche Kritik an den verschiedenen Sonderwegen der deutschen Kirche, insbesondere bei dem Synodalen Weg.
… von Kardinal Marx diplomatisch-arrogant ausgekontert
Wie reagierte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz auf diese kritischen Einwände? 2015 hatte er im Vorfeld der vatikanischen Familiensynode ziemlich schroff-arrogant gefordert, dass die katholische Kirche in Deutschland bezüglich Ehe und Familie auf „neuen Wegen“ vorangehen sollte einschließlich von Paradigmenwechseln, also von völlig neuen sexualethischen Konzepten. Man könne in diesen Fragen nicht auf die römische Synode warten. Schließlich „sind wir keine Filiale von Rom“.
2019 ging Kardinal Marx geschmeidiger vor. Der Antwortbrief zusammen mit dem ZdK-Präsidenten Sternberg ist ein Meisterstück diplomatischer Verdrehungssprache. Zunächst nimmt er zustimmend alle positiven Stichworte von Franziskus auf: Man fühle sich „bestärkt“ durch das Schreiben seiner Heiligkeit in der gemeinsamen „Sorge um die Zukunft der Kirche“. Er versicherte: „wir wollen auf Gottes Wort hören“, den „Weg der Erneuerung als geistlichen Prozess gestalten“, man müsste nach dem „Primat der Evangelisierung“ vorgehen, den (welt-) „kirchlichen Sinn“ beherzigen sowie „verbunden und in Einheit mit der ganzen Kirche“ bleiben.
Diese einleitende Wiederholung einiger Begriffe aus dem Papstschreiben scheint den Eindruck von Zustimmung gegenüber dem Adressaten zu vermitteln. Die weitere Textanalyse zeigt allerdings, dass Marx und Sternberg hinter dieser umgarnenden Freundlichkeit der scheinbaren Übereinstimmung doch nur ihre bisherige Agenda fortführen wollen:
Mit keinem Wort gehen die beiden auf die entscheidende Kritik des Papstes gegenüber kirchlichen Strukturreformen und pelagianischem Aktionismus ein. Sie ignorieren auch das Kernstück der päpstlichen Argumentation, nicht dem Irrweg der strukturellen Reorganisation der Kirche zu folgen, sondern mit der Neuevangelisation der Gemeinden eine missionarische Dynamik für die pilgernde Kirche zu entfalten. Stattdessen halten sie unverändert an eben diesem Programm des Synodalen Wegs fest, indem sie schreiben: „Wir wollen“ weiterhin mit den vier Synodalforen die strukturellen Reformen der Kirche forcieren. Diesen Affront gegen die päpstlichen Weisungsworte kaschieren Marx und Sternberg mit einem genialen Verdrehungstrick. Den vom Papst konstatierten Gegensatz von irreleitendem Strukturwandel statt missionarischer Evangelisierung versuchen sie damit zu neutralisieren, dass sie den falschen Weg der Strukturreformen als Vorstufe der Neuevangelisierung ausgeben: „Wir wollen“ den strukturellen Wandel der deutschen Kirche entlang der Forumsthemen „mit der Perspektive der Evangelisierung“ einleiten. Im Sinne dieser Sprachregelung drückte sich der Limburger Bischof Bätzing aus, als er Ende 2019 zur anstehenden Synodenarbeit sagte: „Wenn wir Brücken bauen zur Lebenswirklichkeit der Menschen und Blockaden lösen (siehe oben Marx‘ Sprachregelung), dann fangen wir an, im besten Sinn zu evangelisieren “
Kardinal Marx blieb bei der unwahren Begründungsbehauptung, dass mit den angepeilten Struktur- und Lehrveränderungen „die Ursachen des Missbrauchsskandal bekämpft“ würden. Danach verkehrt er die päpstliche Weisung vom Primat der Evangelisierung in das Gegenteil: Mit den vorrangigen kirchlichen Systemveränderungen würden „die Voraussetzungen dafür verbessert, dass wir uns selbst evangelisieren“, um dann die Evangelisierung von Kirche und Welt zu vollenden. Bei dieser Marx’schen Prozessargumentation wird überdeutlich, dass er auf dem Synodalen Weg den Primat vom kirchlichen Systemwandel voranstellen will, das Evangelium und die Evangelisierung dagegen hintanstellt.
Kardinal Marx besprach am 19. September 2019 mit dem Papst über dessen Brief. Als Ergebnis verkündete er: „keine Stoppschilder aus Rom für den Synodalen Weg“, den man unverändert „weitergehen“ werde. Wie konnte das sein, da der Papstbrief dem Synodalen Weg doch schwerwiegende Fehler vorgeworfen hatte? Hat der Papst nicht die Verdrehung von Marxens Argumentation in dessen Antwortbrief durchschaut, in dem die Evangelisierung hintangestellt und der Primat der pelagianischen Strukturreformen propagiert wird? Wir wissen nicht, ob und mit welchen weiteren Versprechungen oder Drohungen der eloquente Marx den Papst umgarnt hat. Das Pressefoto nach dieser Begegnung spricht jedenfalls Bände: Es zeigt einen triumphierend-grinsenden Marx und einen betrübt dreinblickenden Franziskus. Der deutsche Kardinal hatte offenbar mit seiner Umarmungstaktik von scheinbarer Zustimmung und hintersinnigem Festhalten an den kritisierten Strukturreformen den Papst über den Tisch gezogen.
Hinzu kommt, dass dieser Papst in wichtigen kirchlichen Lehrfragen laviert, indem er mehrfach zwischen Ja und Nein schwankende Antworten oder zweideutige Aussagen in den Raum stellte. Er zeigt nicht die lehrmäßige Klarheit und lehramtliche Bestimmtheit der beiden Vorgängerpäpste. Papst Johannes Paul II. und Kardinal Ratzinger hatten vor 25 Jahren den deutschen Bischöfen klare, begründete Ansagen zu der Scheinausstellung bei Abtreibungsberatungen gesetzt. Sie führten sechs Jahre lang geduldig Gespräche, ließen sich aber nicht durch die Winkelzüge von Kardinal Lehmann und Bischof Kamphaus an der Nase rumführen, sondern wurden ihrer Verantwortung als Hirten und Lehrer der Kirche gerecht.
Am deutschen Synodalwesen soll die Weltkirche genesen
Die Kurienkreise, die den Papstbrief angeregt hatten, schrieben auch einen eigenen Brief an Kardinal Marx zu dem vorliegenden Statut des Synodalen Wegs. Kurienkardinal Quellet führte in seinem Schreiben aus, die deutsche Synodalversammlung hätte kein Recht, über Themen, die die Weltkirche betreffen, verbindliche Beschlüsse zu fassen. Bezüglich der Verfahrensregeln erinnerte er daran, dass die Synodalität „kein Synonym für Demokratie und Mehrheitsentscheidungen“ sei. Außerdem dürften über lehramtliche Fragen die Bischöfe zwar mit den Laienorganisation beraten, aber sich nicht von einer Mehrheit überstimmen lassen. Laut Synodalstatut bilden die 69 Bischöfe eine Minderheit in der Plenarversammlung von 230 Synodalen.
Doch genau diese Verstöße gegen kirchliches Verfahrensrecht machte sich die Synodalversammlung mit der demokratischen Gleichstellung von Bischöfen und Laien in Beratung und Mehrheitsentscheidung zu eigen. Es besteht offensichtlich weiterer Klärungsbedarf zu der angesprochenen Differenz zwischen kirchlich-synodalem und politisch-demokratischem Verfahren, das deutsch-progressive Kreise der katholischen Kirche überstülpen wollen:
▪ In der Demokratie sind die Interessensstandpunkte von Einzelnen, Gruppen und Parteien Ausgangspunkt im Streit der sich wechselseitig als Gleiche anerkennenden Diskutanten. Über den Zwischenschritt der Wahlen von Volksvertretern finden die Repräsentanten Lösungen im Kompromiss als Interessensausgleich oder durch Mehrheitsentscheidungen. Die beteiligten Parteien, Interessengruppen und Verbände legen ihre Grundsätze und Ziele nach eigenem Gutdünken fest.
▪ Im Prozess der kirchlichen Beratungen und Synoden sind dagegen die Glaubensgrundsätze der Kirche unverfügbar in der Lehre und Person Jesus Christus vorgegeben und im apostolischen Glaubensbekenntnis festgeschrieben. Deshalb können die Gläubigen nicht beliebig nach eigenen Interessen vorgehen oder als Gemeinschaft über Glaubensinhalte abstimmen. Denn der Souverän der Kirche ist nicht das Volk Gottes, sondern Jesus Christus, der Herr. Die Bewahrung der Glaubenslehre und die Hirtensorge hat Jesus den Aposteln und damit den Bischöfen aufgegeben. Daher haben ihre Beratungen und Beschlüssen auf Konzilien und Synoden zu Auslegung, Verkündigung und Leitungsfragen völlig anderen Charakter als die eines Parlaments. Denn sie sind an die Schrift und Dogmen der Kirche gebunden, wie das jeder Bischof in seinem Amtseid bekräftigt. Aus diesem Grund können bei synodalen Zusammenkünften der Bischöfe zwar Anhörungen und Beratungen mit kirchlich ungebundenen Laien erlauben, die aber kein Abstimmungsrecht und insbesondere keine diesbezügliche Gleichstellung einfordern können.
Auf die kritischen Einwände der vatikanischen Kurie zu den unhaltbaren Verfahrensregeln des Synodalen Wegs antwortete Kardinal Marx ebenso geschmeidig-arrogant wie auf den Papstbrief: Die DBK hätte bewusst keine kirchenrechtlich vorgesehene Form für die deutsche Synodalversammlung gewählt. Deshalb brauche man sich auch nicht an die vorgeschriebenen Regeln des Kirchenrechts und der kirchlichen Synodentradition zu halten. Zudem nahm er sich das Recht heraus, zu Fragen, bei denen das römische „Lehramt Festlegungen getroffen“ habe, weiterhin nach Belieben zu debattieren. (Diese Infragestellung des Lehramts bestätigte eine Abstimmungsmehrheit der Plenarversammlung, nach der auch Vorlagen behandelt werden können, die den lehramtlichen Festlegungen widersprechen.) Die weltkirchliche Synodalität in lehramtlicher Einheit mit der gesamten Kirche verdrehte Marx in das Gegenteil, indem er erwartete, dass die Ergebnisse der deutschen Sonderwegsynode „auch für die Weltkirche und für andere Bischofskonferenzen … hilfreich“ seien.[2]
Bischöflicher Gegenwind, aber mächtige Medienpuste treibt das Synodalschiff weiter
Die Bischöfe Voderholzer und Woelki hatten aus den Impulsen des päpstlichen Lehrschreibens einen alternativen Statutenentwurf für die Synode vorgelegt. Statt der bisherigen „überbetonten Konzentration auf Strukturfragen“ in den Foren plädierten die beiden für neue Themenformate, die dem Primat der Evangelisierung und der missionarischen Sendung der Kirche entsprächen. Auf der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz in Fulda 2019 wurden diese Vorschläge von der Mehrheit der Bischöfe abgeschmettert. Bei der anschließenden Abstimmung über die offiziellen Statutenregeln entschieden sich immerhin 13 der 64 deutschen Bischöfe, also ein Fünftel, nicht für die Vorlage der DBK-Führung. Diese kirchen- und glaubenstreue Minderheit der Bischöfe wird auch in den Foren weiterhin ihre kritische Stimme erheben.
Ende Januar 2020 fand die Eröffnung und erste Plenarversammlung des Synodalen Wegs in Frankfurt statt. Die Führung von DBK und ZDK sowie die kirchlichen Hofmedien waren voll des Lobes, dass Laienvertreter, in alphabetischer Reihenfolge neben Bischöfen sitzend, nach Belieben über Strukturreformen und Lehramtsfragen debattieren und abstimmen könnten. Die BDKJ-Vertreterin Paulina Hauser (26) ist darüber begeistert, dass die Jugendvertreter „ein bisschen Narrenfreiheit haben“ und auf der Synode „das heraushauen, was ihnen auf der Zunge liegt“.[3]
„Narrenfreiheit“ der Laien
Wie oben dargelegt, stellt die deutsche Synodalversammlung die synodale Beratungsordnung der Kirche auf den Kopf:
- Die mehrheitliche Laienversammlung will und kann keine reguläre kirchliche Synode sein. Sie maßt sich aber an, über bischöfliche und priesterliche Leitungsfragen zu entscheiden und abzustimmen und sogar über weltkirchliche Lehramtsfragen – etwa bei der grundstürzenden Neukonzeption der kirchlichen Sexualmoral.
- Die Frankfurter Synodaltagung fühlt sich weder gebunden an die biblisch-apostolischen und kirchlich-dogmatischen Grundlagentexte noch an den sensus ecclesiae, also den Einklang mit der Gesamtkirche.
- Auch von einer Hinführung zum Evangelium (Evangelisierung) ist in den Texten des Synodalen Wegs nur als dekorativer Nachschlag zu den Strukturreformen die Rede.
Auf die oben genannten Bedingungen für jede kirchliche Synodenversammlung hat Papst Franziskus hingewiesen. Die synodalen Text-Autoren dagegen stützen sich hauptsächlich auf weltliche „Erkenntnisse“, um die Kirche in ihrer Konstitution an die politischen Regeln des demokratischen Staates anzugleichen. In diesem Horizont diskutieren Teilnehmer die vorgelegten Textthesen wie ein weltlicher Interessenverband oder parlamentarischer Debattierclub: Jedes Synodal-Mitglied haut das heraus, was ihm auf der Zunge liegt. Am Maßstab der kirchlichen Pflicht zur biblisch und dogmatisch gebundenen Beratung ist das die Methode der weltlichen Narrenfreiheit.
Früher hat man eine Synode, die außerhalb der kirchlichen Regeln, der kirchenrechtlichen Regularien und des sensus ecclesiae operierte, ein irreguläres „Räuberkonzil“ genannt, heute heißt sie Synodaler Weg als „Prozess sui generis“ (Marx). Steht am Ende des Prozess-Durchlaufs der Synodalen Weggenossen eine ‚Kirche eigener Art‘?