Die politische Sprache der Kirche – ein Symptom ihres Niedergangs 20.11.2020
Von Prof. Eberhard Gross.
Die Sprache der Bischöfe ist eine politische Sprache geworden. Die Sprache der Politiker zielt auf ihre Anhänger und potentiellen Wähler, auf Verbündete und politische Gegner. Es geht ihnen in der Regel nicht um die Wahrheit oder um Gerechtigkeit, sondern um ihre politischen Ziele, wie um die Interessen ihrer Klientel und des eigenen Interesses, letztlich um den Machterhalt, um ihre Vorhaben zu realisieren. Dazu bedienen sich die Politiker, nicht alle, aber doch nicht wenige des gängigen Arsenals der manipulativen Rede, um die Meinungsführerschaft zu gewinnen: des Framings, der Verfälschung von Fakten, der Lüge, der Unterdrückung oder Selektion von Fakten, der Diffamierung und Bedrohung des politischen Gegners, von halben Wahrheiten, von denen es heißt, dass sie schlimmer sind als ganze Lügen. Diese Sichtweise erscheint sehr pessimistisch und würde sie ausnahmslos zutreffen und würden nicht die noch halbwegs intakten Institutionen - halbwegs, weil die etablierten Parteien sich den Staat schon in großen Teilen zur Beute gemacht haben und die Politik mit dem Argument ihrer Priorität gegenüber den Gesetzen sich über manche dieser einfach hinwegsetzt - die Akteure, sprich die Parteien zähmen, wäre ein einigermaßen funktionierendes und die Interessen der verschiedenen Gruppen ausgleichendes politisches Handeln nicht vorstellbar.
Der Kirche sollte es eigentlich nicht um die Politik, sondern um das Seelenheil der ihr Anvertrauten gehen. Das bedeutet nicht, dass sie sich nicht in die Politik einmischen darf. Sie muss es, wenn diejenigen der zehn Gebote, die das Zusammenleben „gebieten“, verteidigt werden müssen. Sie kann in einer pluralistischen Gesellschaft naturgemäß immer wieder nur ihre Stimme erheben. Sie sollte es aber auch tun und nicht schweigen oder gar ihre eigene Botschaft verraten, auch bei existentieller Bedrohung nicht. Darf die Kirche die Sprache der Politik adaptieren? Überreden statt Überzeugen und Partei ergreifen zugunsten von politischen Haltungen und Entscheidungen, über die man trefflich streiten kann, und damit auch im Sinne der Parteilichkeit nicht nur die von der Politik vorgesprochenen Sprachregelungen einer durchaus umstrittenen Politik übernehmen, sondern auch die Kritiker dieser Politik diffamieren? Sie darf es nicht. Handelte die Kirche so, verstieße sie gegen ihr moralisches Gesetz, das nach ihrer Überzeugung gottgegeben ist. Viele ihrer Repräsentanten handeln aber so.
Diesen Befund kann man besonders gut an den Hochfesten Weihnachten und Ostern besichtigen, wenn den Predigten der höchsten Kirchenführer ein gewisser Nachrichtenwert zukommt. Mit wenigen Ausnahmen gilt dies auch für die Weihnachtsansprachen der übrigen Bischöfe, wie ein Blick auf die Website „katholisch.de“ zeigt.
In den Weihnachtspredigten geht es um Nationalismus, Umweltbewusstsein, Friday for Future, die Kinder auf Lesbos, die Ausbeutung der Natur, Kampf gegen Klimawandel, die Zukunft des Planeten, Häme und Hass im Netz, Fremdenhass und Antisemitismus. Der Aachener Bischof kommentiert politische Ereignisse ganz konkret und behauptet „Präsidenten und Regierungschefs lügen und kommen mit immer dreisteren Behauptungen durch und werden deshalb gewählt – eben, weil sie draufhauen.“ Konkret äußert sich auch der Fuldaer Bischof. Häme und Hass könnten zu schrecklichen Taten wie dem Mord an Lübcke (dem Regierungspräsidenten in Kassel) führen. Beide „Kommentatoren“ machen sich die Argumente und Sprachregelung der Berliner Politik zu eigen und bringen ganz im Stil dieser Politik den Paradigmenwechsel der Politik des Weißen Hauses und die Kritiker der Migration mit Fakenews bzw. mit Mord in Verbindung. Nicht in jeder bischöflichen Weihnachtspredigt ist die politische Propaganda so offenkundig wie in diesen beiden. Doch alle Weihnachtspredigten sind politische Reden. Ihre politischen Botschaften verändern die Weihnachtsbotschaft, das Weihnachtsfest, ja sie bemächtigen sich dieses wie auch die Wirtschaft Weihnachten für ihre eigenen Zwecke gebraucht. Sollte der eine oder andere Bischof die Weihnachtsbotschaft ein heilsgeschichtliches Ereignis genannt haben, so ist es offenbar „katholisch.de“ bei fast allen zitierten Bischöfen nicht der Erwähnung wert. Entkleidet man die Predigten des sparsamen, ja marginalen religiösen Rahmens, sind sie nichts weiter als Appelle wie sie seit Jahren von den Staatsmedien und der weitgehend uniformen Presse verbreitet werden und das Programm der offiziellen Berliner oder Brüsseler EU-Politik bewerben.
Dabei können sich die Bischöfe nicht nur bei den politisch gleichgesinnten Politikern in Berlin und Brüssel einreihen, sondern sich auch als Transporteure einer bestimmten politischen Agenda auf Papst Franziskus berufen, der den UN-Migrationspakt uneingeschränkt unterstützt und damit eine grenzenlose Migration fordert und fördert und für die Vertiefung der europäischen Integration mit Auflösung der Nationalstaaten eintritt.
Die Kirche wirft derzeit in immer schnellerem Takt, vorgegeben aus Rom, aber schon vorgelebt und praktiziert in etlichen Provinzen der Weltkirche, Essentials des Glaubens wie einen Ballast über Bord. Der Papst selbst vertritt häretische Positionen wie den Synkretismus (Pachamamma), die Relativierung der katholischen Religion als eine von vielen Religionen, „die wahre Lehren“ haben (Erklärung von Abu Dhabi, Februar 2019). Die Destruktion des Glaubens wird weiter eifrig betrieben. Viele deutschsprachige Bischöfe scheinen regelrecht in einen Wettbewerb eingetreten zu sein, wer von ihnen sich am weitesten vorwagt, die traditionelle Lehre in Frage zu stellen. Wie in der Politik lassen sie Versuchsballons aufsteigen, um zu testen, wie das Kirchenvolk reagiert. So können sich viele Bischöfe die Abkehr vom Zölibat und die Frauenordination und das gemeinsame Abendmahl „vorstellen“. Damit wären sie ihrem Ziel das Weihepriestertum abzuschaffen einen großen Schritt nähergekommen.
Eine Kirche, die weitgehend politisch spricht und deren Anliegen politischer Natur sind und die sich der von der Politik soufflierten Sprachregelungen bedient, ist nur mehr eine politische Organisation. In eine solche politische Organisation passt nicht mehr das geistig spirituelle Gerüst der Sakramente. Da in ihnen nur noch Symbole gesehen werden, traut man ihnen auch nicht mehr eine das Seelenheil fördernde Wirkung zu. Spendung und Empfang der Sakramente werden so banalisiert und die Sakramente damit gleichsam entsakralisiert. In einer Kirche, die auch der Gesellschaftspolitik der politischen Klasse nicht nur nicht widerspricht, sondern zuweilen noch stützt, wie die Genderideologie[1], die Frühsexualisierung der Kinder und letztendlich die Zerstörung der Familie, ist das Lehramt ein Störfaktor, das zwar offiziell noch in Kraft ist, aber mit theologischen Kunstgriffen dem Zeitgeist widersprechende Glaubensaussagen für unzeitgemäß und wissenschaftlich nicht haltbar erklärt werden wie die Sündhaftigkeit der homosexuellen Praxis. So wird auch die gleichgeschlechtliche Partnerschaft, eine bloße Imitation des Ehestandes, als segnungswürdig und gottgewollt propagiert. Diese Kirche ist damit vollständig im Protestantismus angekommen, in dem auf der einen Seite das Prinzip des anything goes gilt und dem andererseits eine große Staatsnähe schon immer eigen war.
Wenn die politische Klasse – hierunter verstehe ich die etablierten Parteien mit ihrem Apparaten, auch mit den von ihnen beherrschten Medien und Parteienstiftungen – mit christlichen Überzeugungen nicht nur wenig anzufangen weiß, sondern sie auch offen und verdeckt bekämpft[2], so braucht sie die beiden „Großkirchen“ doch als Mitspieler auf dem politischen Spielfeld[3]. Denn die Millionen von Kirchenmitgliedern sind noch ein Reservoir, auf das alle etablierten Parteien ausgenommen die Partei die Linke und der linke Flügel der SPD hoffen zugreifen zu können. Die beiden „Großkirchen“ wollen zwar in der Öffentlichkeit immer noch im religiösen Kontext als das wahrgenommen werden, wofür die Kirchen eigentlich einmal gestanden haben. Dieses gelingt ihnen als eine Institution, die Partei ergreift, indem sie ganz offen Politik macht, immer weniger. So kann man auch innerhalb der Kirche die Frage, ob die derzeitige Politik Berlins und der EU die Interessen Deutschlands noch im Blick hat ohne soziale Ächtung nicht mehr stellen.[4] Die politische Kirche instrumentalisiert so das Christentum für die Zwecke der Berliner und der Europa Politik und für ihre Zwecke. Es gibt folglich einen kirchlich - politischen Komplex. Dieser zeigt immer wieder sein Gesicht auf den Kirchentagen, die die Politiker gerne als Forum benutzen, zuweilen auch in ökumenischen Gottesdiensten[5] aus politischen Anlässen oder Großkatastrophen[6] und ist institutionalisiert in den Gremien des politischen Katholizismus und Protestantismus wie dem ZDK[7] und der EKD[8]. Dabei liest sich besonders die Mitgliederliste des ZDK wie das Who is Who der Politik. Dass sich die Kirchen dem Staat gegenüber, der nicht nur für sie die Steuer eintreibt, sondern sie auf manch anderen Gebieten alimentiert, als regimetreu verhalten, überrascht nicht. Zum kirchlich – politischen Komplex gehören auch die diakonischen Großkonzerne Caritas und Diakonie, die Mitspieler in der gewinnträchtigen Asylindustrie sind.
Die routinierten und professionellen Aktionen des kirchlich – politischen Komplexes und sein Erscheinungsbild und die finanzielle Potenz (noch) der Kirchen stehen allerdings im krassen Widerspruch zu dem offenkundigen Niedergang beider Kirchen wie die Zahlen über die Kirchenaustritte zeigen und angesichts der Tatsache, dass die nachwachsenden Generationen mit der Kirche gar nichts zu tun haben möchten. Der Zustand der Kirchen gleicht dem der Kathedralen und Domen, die in ihrer alten Pracht noch Zeugnisse des christlichen Glaubens sind, aber vielfach zu Museen geworden sind, die eher von Touristen als von Gläubigen besucht werden.
Wie die Politiker die Ursachen einer Wahlniederlage in dem Vertrauensschwund des Wahlvolkes sehen, so begründen auch die Bischöfe diesen Niedergang der Kirche. Nach dem Osnabrücker Bischof geht der Glaubensverlust mit einer Vertrauenskrise einher. Wie die Politiker verschleiert auch er die eigentlichen Ursachen durch eine unpräzise Formulierung. Es soll insinuiert werden, dass die Vertrauenskrise die Ursache der Glaubensverlustes und die Vertrauenskrise eine Folge des Fehlverhaltens der Kirche[9] sei. Nicht der Glaubensverlust ist Folge der Vertrauenskrise, die es zweifellos gibt, sondern der Glaubensverlust ist die Voraussetzung der Vertrauenskrise. Dabei wird die eigentliche Verantwortung für den Glaubensverlust verschwiegen. Die Ursache des Glaubensverlust lässt sich jedoch kurz so beschreiben: Aus der Kirche heraus wurde mit dem Vaticanum II unter dem Banner des Aggiornamento der Glauben unterminiert.
Die Kirche ist mit dem Glaubensverlust eines großen Teils ihres Personals und eines nicht geringen Teils der Noch-Kirchgänger zu einer politischen Organisation mutiert, die sich der Sprache der Politiker bedient, und deren Repräsentanten sich wie Politiker verhalten und die auch von der Politik als eine solche wahrgenommen und behandelt wird. Als politische Organisation kann es ihr nicht um das Seelenheil der ihr Anvertrauten gehen, sondern darum deren zeitgeistigen Bedürfnisse zu befriedigen, die ihr Anvertrauten dort abzuholen, wo sie sind, aber nicht zu versuchen sie zum Glauben hinzuführen, sondern sie dort zu lassen, wo sie sind und ihnen die Gewissheit zu geben, dass man dank der „Allerlösung“ nicht für alles im Leben bezahlen muss. Ein solches Verhalten der Anbiederung ist zutiefst politisch und ist ein Symptom ihres Niedergangs. Ob ein solches Verhalten auch gegenüber der politischen Klasse die Kirche vor dem Niedergang schützt, darf bezweifelt werden. Sobald die kirchlichen Mitspieler nicht mehr gebraucht werden, werden sie von der Politik fallen gelassen. Lässt man die religiöse Dimension der Kirche außer Acht, ihre Unbesiegbarkeit, so ist die Beobachtung von Jean Paul Sartre zutreffend: „Ein politisches System, das dem Untergang geweiht ist, tut instinktiv vieles, was diesen Untergang beschleunigt.“
[1] Der Begriff Gender bezeichnet das Geschlecht als soziales Konstrukt. Die Genderideologie zielt auf die Zerstörung der Geschlechteridentität mit dem Argument, dass das soziale Konstrukt Geschlecht vielfältige Ausprägungen habe und die binären Geschlechterrollen diese gewählte und gewollte Vielfältigkeit unterdrücke. Gender Mainstreaming ist die politische Strategie von UN, EU und den westlichen Staaten die absolute Gleichstellung der Geschlechter unabhängig von ihren biologischen Unterschieden zu erreichen. Zu dieser Strategie gehört auch die Frühsexualisierung und die Propagierung der Homosexualität.
[2] Erinnert sei hier an die Abtreibungsgesetzgebung unter der Kohl-Regierung 1992 und die Verabschiedung des Gesetzes zur gleichgeschlechtlichen Ehe und Freigabe der Adoption bei gleichgeschlechtlichen Paaren 2017.
[3] Die Bezeichnung „Großkirchen“ ist ein politischer Begriff, der auch von der katholischen Kirche benutzt wird.
[4] Nach einer aktuellen Umfrage halten 75% der Bürger die Meinungsfreiheit für eingeschränkt.
[5] So zum 1.9.2019 Gedenkgottesdienst im Berliner Dom zum Gedenken an den Kriegsbeginn vor 80 Jahren
[6] Unglück bei der Duisburger Love -Parade 2010, Unglück der Germanwing 2015
[7] Mitglieder sind u.a. Dr. Peter Frey, Intendant des ZDF, Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland Pfalz, Dr. Monika Grütters (Staatsministerin, CDU), Prof. Maria Böhmer (Staatsministerin a. D. CDU), Bettina Jarasch (Mitglied des Abgeordnetenhauses Berlin, Grüne), Andrea Nahles (ehem. SPD Parteivorsitzende), Kramp- Karrenbauer (Parteivorsitzende der CDU), Dr. Gerhard Müller (Minister, CSU)
[8] Als Mitglieder der 12. EKD Synode werden u.a. Irmgard Schwätzer (FDP), Kathrin Göring - Eckhardt (MdB, Grüne) und Hermann Gröhe (MdB, CDU) aufgeführt.
[9] Katholisch.de Weihnachtspredigten der deutschen Bischöfe 2019. Bode: „Vielen Menschen sei die Rede von Gott unglaubwürdig geworden. Zu oft habe man ihn als Begründung für alles Mögliche herangezogen, um der eigenen Meinung und der eigenen Macht Gewicht zu geben und sie unhinterfragbar zu machen.“