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Eine Religion ohne die sakramentale Vergegenwärtigung Gottes ist sinnlos

In seinem letzten Werk von 2019: „Auch eine Geschichte der Philosophie“ postuliert Jürgen Habermas die Bedeutsamkeit von Religion, sofern eine Religionsgemeinschaft in Gebet und Kult an das Wirken Gottes glaubt. Denn nur eine glaubensstarke liturgische Praxis der Vergegenwärtigung Gottes könne als „Pfahl im Fleisch der Moderne“ wirken. „Eine Religion ohne Kult hat keinen Sinn.“[1]

Bemerkenswert und überraschend an dem Habermas’schen Plädoyer ist, dass er nicht die modern-rationale und philosophie-affine Vernunfttheologie der Protestanten – etwa im Entmythologisierungsprogramm von Rudolf Bultmann - als Weg zur Transzendenzoffenheit ansieht, sondern allein in der rituell-liturgischen Praxis (der katholischen Kirche) den Ort und die Weise ausmacht, an dem die Transzendenz vergegenwärtigt wird oder in die Welt einbrechen kann.

Den fundamentalen Unterschied zwischen der katholischen Prägung von Liturgie und Sakralräume durch Inkarnation und Sakramentalität einerseits und der protestantischen Ausrichtung auf Wortverkündigung und rationales Verstehen andererseits beleuchtet der katholische Publizist Bernhard Meuser in einer Zeitungskolumne.[2]

„In der Reformation verlor sich die spezifisch sakrale Aura der Kirchen. Aus Sakralräumen wurden Lehrräume. So etwas wie das Allerheiligste gibt es nicht mehr. (…) Zentrale Bedeutung nimmt überall die Kanzel ein. Man geht in das Gotteshaus wie in ein Auditorium, eine Art Bibelakademie für alle, um zu hören, belehrt zu werden, zu verstehen. Auch wenn sich diesbezüglich nichts ereignet, weil gerade nicht gepredigt wird, ‚belehrt‘ der Raum in Bilderzyklen und andere Visualisierungen biblischer Ereignisse. Wir befinden uns in einem Pädagogikum und nicht in einem Oratorium. Der Kirchenraum ist kein Ort spezifischer Anwesenheit Gottes; der ist unwesentlich für das, was sich zwischen Gott und Mensch durch das Wort ereignet. Gottes Präsenz kommt erst oder soll erst noch kommen über den Funken des Verstehens, den die Predigt entzündet. So kann man ahnen, warum fast die gesamte evangelische Theologie des 20. Jahrhunderts ‚Hermeneutik‘ war, also ‚Verstehenslehre‘. Mal um Mal ging es um die Frage, mit welchem Recht ein sperriges Konvolut antiker Texte heute bestimmend sein soll für moderne Selbstverwirklichung. Wie kann es sein, dass sich Gott in der Begegnung mit dem Wort ereignet?

Das katholische Raumkonzept knüpft an die Stiftshütte und den Tempel Israels an, dem zentralen Symbol jüdischer Identität. Hier war der irdische Ort eines Gottes, ‚der aus der weiten Ferne seines Thrones über den sieben Himmeln herabkam, um in einem Zelt aus Ziegenhaut zu wohnen‘ (G. F. Moore). Katholische Hermeneutik war immer geprägt vom Geheimnis der Inkarnation und vom Mysterium realer Gegenwart des Göttlichen im Inadäquaten: einem Mutterleib, dem Tabernakel. Beides liegt auf einer Ebene. Hier wie dort geht es um das Mysterium eines bewohnten Raumes. Man betritt eine Kirche und macht eine Kniebeuge. Das flackernde Licht einer Kerze lässt verstummen vor dem Heiligen. Die Horizonte sind bereits verschmolzen. Gott ist schon geerdet und tröstet, bevor er sich neu ereignet in der Begegnung mit dem Wort, das mich meint.“

Auch Kardinal Reinhard Marx ging in seiner Predigt zur Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Fuldaer Dom auf das Habermas-Diktum ein.[3] Er erinnerte an die zentrale Stellung des Tempelkultes im jüdischen Glauben, der insbesondere in der Zeit der Bedrängnis zum Konzentrationspunkt der jüdischen Identität wurde. „Nicht die politische Bedeutung, nicht einmal die ethische Dimension sind die entscheidenden Punkte“, sondern „der Gottesdienst ist das Zentrum des Religiösen.“ Bezogen auf die Kirche zitierte der Münchener Erzbischof Kardinal Joseph Ratzinger, dass das Geschick der Kirche an der Liturgie hänge. Denn die Feier der Heiligen Messe sei der „Dreh- und Angelpunkt sowie der zentrale Auftrag der Kirche“, ergänzte der Prediger. Damit knüpfte Kardinal Marx an die theologische Tradition von Konzil und Enzyklika „Ecclesia in eucharistia“ (2003) an, nach der die eucharistische Feier „Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Lebens“ ist.

Solche Worte hat man von der Führungsriege der deutschen Bischöfe seit Jahrzehnten nicht mehr gehört. Die meisten Bischöfe sprechen in ihren öffentlichen Stellungnahmen vorwiegend gesellschaftspolitische oder kirchenpolitische Themen an. In den programmatischen Schriften zur „Kirchenentwicklung im Bistum Limburg“ spricht Bischof Bätzing überhaupt nicht mehr von Eucharistie. Verantwortliche Autoren zu diesem Prozess kritisieren sogar die immer noch allzu „eucharistiefixierte“ Gemeindepastoral.

Ist mit der Fuldaer Predigt von Kardinal Marx eine Kurskorrektur angemahnt, eine neue Hinwendung zur kirchlichen Lehre vom Kult des „eucharistischen Opfers“ (Lumen gentium 11) eingeleitet?

Leider nicht. Denn der Münchener Erzbischof biegt nach seinen verheißungsvollen Ansätzen schnell wieder auf modernistische Irrwege ab. Er doziert, dass Habermas doch wohl nur einen „vernünftigen Gottesdienst“ im Sinn gehabt hätte, eine Liturgie, die „anschlussfähig“ sei – an modernes Lebensgefühl und Philosophieren? In den genannten Begriffen kommt es wieder zum Vorschein, das protestantische Anbiedern und Anschließen an Vernunft und Moderne. Nein, nur eine glaubensstarke sakramentale Kultpraxis kann als Vergegenwärtigung Gottes ein ‚Stachel im Fleisch der Moderne‘ sein.

Aber gerade die von Habermas betonte rituell-kultische Gottesdienstpraxis kritisiert Marx als ‚Gefährdungen durch Äußerlichkeiten des Gottesdienstes‘. Denn sie würde uns herauslösen aus dem Alltag und uns in einen besonderen Raum und Rahmen stellen. Darin kommt die Kritik am sakralen Raum und den sakramentalen Riten zum Ausdruck, die Bernhard Meuser als katholisches Spezifikum charakterisiert, geprägt durch das „Geheimnis der Inkarnation“. Kritik der Sakralität ist auch ein Grundzug des Synodalen Wegs, auf dem die Sakramente des Priestertums, des Herrenmahls und der Ehe an weltliche Dienste und Dinge angepasst werden sollen.

Für Meuser ist das Mysterium der realen Gegenwart des Göttlichen im Inadäquaten einverleibt: im Mutterleib, in der eucharistischen Wandlungsfeier und im Tabernakel. Die Gläubigen beugen die Knie und bezeugen mit dem Kreuzzeichen ihre Ehrfurcht vor dem anwesenden Gott. Für Marx dagegen steht in der Eucharistiefeier nicht mehr die Herabkunft und Präsenz Gottes im Mittelpunkt, sondern der Gottesdienst wäre in erster Linie eine Gemeinschaftserfahrung der Christen untereinander. Auf diese Weise sei in der Gemeindefeier das Reich Gottes präsent – ebenso wie im Alltagsleben, auf das sich die Sakramente erstrecken sollen. Anscheinend will Marx das Spezifische an Kult, Riten, Sakralem und Sakramenten mit dem Alltäglichen und Banalen nivellieren. Damit aber verliert die katholische Eucharistiefeier ihren Charakter als „Quelle und Höhepunkt des gesamten christlichen Lebens“.

Hubert Hecker

 



[1] Zitiert aus: Dieter Hattrup: Habermas‘ letzte Worte, in: Die Tagespost vom 26. 8. 2021

[2] Bernhard Meuser: Das Mysterium des bewohnten Raumes, in: Die Tagespost vom 2. 9. 2021

[3] „Die Feier des Gottesdienstes ist der zentrale Auftrag der Kirche“, kath.net-Bericht über die Predigt von Kardinal Marx zur Herbst-Vollversammlung der DBK im Fuldaer Dom, 22. 09. 2021