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Gegen die Anpassung der Kirche an den Zeitgeist

– für eine kritische Akkulturation

Stellungnahme zu einem Interview von Bischof Bätzing,
 Bistum Limburg mit der Illustrierten Stern

 

Ein Zwischenruf von Hubert Hecker                                               

Die Illustrierte stern brachte in der Vorweihnachtsausgabe vom 16. 12. 2021 ein Interview mit dem Limburger Bischof Dr. Georg Bätzing. Das Gespräch stand unter der Frage: „Was ist beim Missbrauchsskandal kaputt gegangen für die Kirche?“

Der medialen Skandallogik auf den Leim gegangen

Das Wort Missbrauchsskandal in der Interviewfrage zeigt an, dass der Reporter nicht die real vorgekommenen Missbräuche durch vier Prozent der Geistlichen meint, sondern die von den Medien im Empörungsgestus vorgetragenen Skandalmeldungen. Dafür steht die Bild-Schlagzeile von 2010: „Die Hölle von (der Benediktinerschule in) Ettal“. Solche aufgebauschten Skandalgeschichten wurden als typisch für die „Kinderschänderkirche“ verallgemeinert. Die Deutsche Bischofskonferenz ist dieser verleumderischen Pauschalisierungstendenz bisweilen auf den Leim gegangen, indem sie selbst die Kirche als eine Art Täterorganisation denunzierte. Was eine kleine klerikale Minderheit von sexuellen Triebtätern an vorwiegend pubertären Jungen verbrochen hat, wird der Kirche insgesamt als vermeintliche Systemschuld in die Schuhe geschoben.

Wenn man die irreführenden Skandalisierungskampagnen für bare Münze nimmt, dann müssen sich nach der Skandallogik auch „katastrophale“ Folgen ergeben – wie etwa ein „Ansturm von Austrittswilligen. Auch Bischof Bätzing bedient dieses Skandalmuster, indem er als Folge des Missbrauchs eine kirchliche „Katastrophe ausmalt:
- Kirchenmitglieder würden vor den Amtsgerichten Schlange stehen,
- viele Gläubige hätten ihr Vertrauen in die Kirche verloren,
- sie würden stark enttäuscht oder gar wütend auf die Kirche sein,
- am meisten verunsichert wären sie über den Verrat am Wesen der Kirche und
- deshalb hätte die Kirche an Glaubwürdigkeit verloren.

Übertriebenes Katastrophenszenario

Nach der kürzlich publizierten Allensbach-Untersuchung[1] ist das Image beider Kirchen in den Augen der Bevölkerung schon seit Jahrzehnten schlecht. Dass die katholische Kirche infolge der suggestiven Befragungsvorlage „nach den ganzen Skandalen“ unglaubwürdig geworden sei, ist kein überraschendes Ergebnis. Mit 56 Prozent der Befragten steht das Ansehen der katholischen Kirche um acht Punkte schlechter da als das der EKD mit immerhin 48 Prozent. Doch diese Schlechterstellung darf man getrost als Folge der medialen Skandalisierungseffekte erachten.

Jedenfalls schlägt sich der erhöhte Ansehensverlust der katholischen Kirche nicht in einem entsprechenden Zuwachs an Austrittszahlen nieder. Im Gegenteil. In der evangelischen Kirche waren die entsprechenden Zahlen in den letzten zehn Jahren durchschnittlich höher. Da die EKD bei etwa gleichen Missbrauchszahlen[2] von den Medien bis heute nicht skandalisiert wurde, hätte man nach der Medienlogik bei den Evangelischen eine niedrigere Austrittszahl als bei den Katholiken erwarten müssen, also das Gegenteil der realen Entwicklung.

Insofern ist die These von einem massenhaften Ansturm von katholischen Austrittswilligen als Folge des Missbrauchs eine skandalöse Falschmeldung.

Auch Bischof Bätzing folgt der Medienthese, dass die Kirche wegen der Missbrauchsvorkommen der letzten 75 Jahre bei den Gläubigen massiv an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren hätte und die Kirchenmitglieder zutiefst verunsichert wären. Die Erfahrungen etwa von katholischen Schulen sprechen eher dagegen: Im Jahre 2010 galten katholische Schulinstitute als Hotspots des kirchlichen Missbrauchs. Inzwischen haben die Schulen und kirchlichen Schulabteilungen umfangreiche Aufarbeitungs-, Schutz- und Präventionskonzepte erstellt und handeln danach. Bei sinkenden Zahlen von Katholiken steigen die Anmeldungszahlen für katholische Schulen. Das ist ein Signal von Zuwachs an Vertrauen und Glaubwürdigkeit kirchlicher Institute.

Die erwähnte Allensbach-Untersuchung kommt ausdrücklich zu dem Ergebnis, dass „der schwindende Rückhalt der Kirchen in der Bevölkerung“ nicht auf die kirchlichen Skandale bzw. die mediale Skandalberichterstattung zurückzuführen sei. Denn die Entfremdung der Gläubigen von der Kirche sei ein langsam fortschreitender Prozess, der „letztlich unberührt von aktuellen Ereignissen“ ablaufe.

Der Glaubensverlust als Ursache der Massenaustritte und das Nichtstun der Bischöfe

Der „Erosion des Christentums in Deutschland“ beginne in der ersten Stufe damit, dass „die Menschen den Glauben an die wesentlichen Inhalte des Christentums verlieren.“ Die Kerninhalte der christlichen Lehre wie der Glaube an

•  die Gottessohnschaft Jesu Christi,
•  die Dreifaltigkeit und
•  die Auferstehung

ist in den letzten 35 Jahren um bis zu 20 Prozent zurückgegangen. „Erst nach dieser inneren Abwendung folgt in einem zweiten Schritt der Kirchenaustritt.“ Die Demoskopen folgern aus diesen grundlegenden Erkenntnissen:

„Die verbreitete Vorstellung, wonach viele tiefgläubige Menschen die Kirche aus Protest verlassen, ist falsch.“

Von Seiten der Bischöfe sollte man als logische Reaktion aus den schon länger bekannten Entwicklungserkenntnissen erwarten, dass sie in ihren Diözesen die Anstrengungen zu mehr Katechese, Verkündigung und Evangelisation intensivieren, um der Glaubensverdunstung entgegen zu arbeiten. Doch stattdessen schlagen Bischof Bätzing und die meisten anderen deutschen Bischöfe auf dem Synodalen Weg eine gegenläufige Richtung ein. Entgegen dem Rat von Papst Franziskus zum Primat der Evangelisierung behaupten sie, zuerst müssten die von ihnen konstruierten Strukturmängel der Kirche wie veraltete Sexualmoral, klerikale Macht und zu wenig Frauen in Machtpositionen als angebliche Blockaden der Verkündigung beseitigt werden, erst danach könnte durch Evangelisierung der Glaube wieder aufblühen. Diesen Ansatz hat Kardinal Kasper als häretisch charakterisiert. Denn er widerspricht der biblischen Weisung von Mission und Verkündigung, „sei es gelegen oder ungelegen“. Erst recht darf die Kirche nicht selbstgemachte Programme und Projekte über das Evangelium Jesu Christi stellen, dem Herrn der Kirche.

Aber auch die zentrale Orientierung auf Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben der Kirche scheint in die zweite Reihe gerückt zu sein. Bischof Bätzing spricht davon, dass „wir die Latte (des moralischen Anspruchs) schon sehr hoch legen“ und fragt dann weiter: „Aber können die Menschen unsere Botschaft überhaupt noch annehmen?“

Dagegen ist an die christliche Grundwahrheit zu erinnern: Nicht wir stellen die Gebote Gottes auf und es ist nicht unsere Botschaft, sondern die Botschaft und Lehre des Gottmenschen Jesu Christi, die die Kirche zu verbreiten und zu vertiefen hat in Katechese, Verkündigung und Evangelisation.

Pauschale Beschuldigung bischöflicher Mitbrüder…

Bischof Bätzing behauptet, bei der Behandlung von übergriffigen Geistlichen hätten die Kirche und damit die (Vorgänger-) Bischöfe hauptsächlich Institutionenschutz betrieben. Sachlich unzutreffend ist die Aussage  von Bischof Bätzing, dass die Kirchenverantwortlichen „die Täter vor allem möglichst geräuschlos aus dem Verkehr“ hätten ziehen wollen. Der Vorwurf an die Bischöfe besteht doch gerade darin, dass sie übergriffige Kleriker gerade nicht aus dem Verkehr zogen – etwa durch Laisierung oder Pensionierung, sondern sie versetzten und weiterbeschäftigten.

Bei der allgemeinen Einschätzung von Missbrauch in der Kirche vermittelt Bischof Bätzing den Eindruck einer pauschalen Beschuldigung: Die Kirche bzw. die Bistumsverantwortlichen hätten sich „vor allem“ um Schutz und Selbstzweck der Institution gekümmert, als wenn diese Sorge Leitmotiv ihres Handelns gewesen wäre. Daraus folgert er das schwerwiegende Urteil vom „Verrat am Wesen der Kirche“. Nach dieser Beschuldigungslogik stünde auch gegenüber Bätzings Vor-Vorgänger Franz Kamphaus der Vorwurf im Raum, dass der bei der mehrfachen Weiterversetzung eines priesterlichen Missbrauchstäters aus den genannten Motiven gehandelt und so den kirchlichen Auftrag verraten hätte.

Doch solche allgemeinen Unterstellungen ohne empirische Einzelnachweise sind nicht zulässig. Die bisherigen Aufarbeitungsstudien aus den Bistumsstädten Münster, Köln und Limburg stellen fest, dass die zuständigen Bischöfe, Weihbischöfe und Personaldezernenten zumeist aus Nachlässigkeit, mit Nichtbeachtung von Vorschriften, Verantwortungsabschiebung oder Fehleinschätzung der Vergehen gehandelt hätten, jedenfalls nicht oder selten mit dem Willen zum Vertuschen oder zum Institutionenschutz.

 

… aber vielfache Selbst-Exkulpierungen

Bischof Bätzings Beschuldigungen gegenüber anderen kirchlichen Amtsträgern sind auch deshalb irritierend, weil er für sein eigenes Handeln als verantwortlicher Generalvikar im Bistum Trier zwar Fehler zugibt, was den Blick auf die Not der Betroffenen angeht, aber selbst zahlreiche Unschuldsmotive in Anspruch nimmt, die er bei anderen ausblendet: Er will nicht vertuscht haben, einen bestimmten Täter in keiner Weise geschützt haben und er hätte nur aufklären wollen. Er habe „stets seine Verantwortung gesehen, alles zu tun, um Missbrauch zu verhindern, rechtskonform zu agieren und Aufarbeitung zu garantieren“.

Solange Bischof Bätzing und den anderen Bischöfen nicht das Gegenteil nachgewiesen wird, haben sie nach unserer Rechtsordnung als unschuldig zu gelten. Viele Medien dagegen schüren seit Jahren einen „Generalverdacht“ (Der Spiegel 16.12.21) gegen „die Kirche“. Mit den Stereotypen von vertuschenden Bischöfen und übergriffigen Klerikern werden die Taten und Täter als typisch für die Institution suggeriert. Bei anderen gesellschaftlichen Institutionen wie Polizei, Schule oder Bundeswehr achten die Medien eher auf die gebotene Fairness, mit ihren Meldungen zu kriminellen Vorfällen und schwarzen Schafen nicht das Ansehen der meisten unbescholtenen Mitarbeiter zu beschädigen oder die betreffende Organisation zu skandalisieren.

Leider sind in kirchlichen Stellungnahmen gelegentlich ebenfalls Pauschalisierungstendenzen anzutreffen – auch in diesem Fall. 

Statt Anpassung an den Zeitgeist ist kritische Akkulturation gefordert

In einem weiteren Gesprächsblock im Stern-Interview mit dem Limburger Bischof geht es um die Lehre und Identität der Kirche sowie ihre Beziehung zu weltlichen Strömungen und Zeitgeist.

Der Stern-Reporter stellt eine zugespitzte These auf: „Zeichen der Kirche war (seit 2000 Jahren) ihre bewusste Andersartigkeit, mit der sie sich immer abgegrenzt hat von den Moden der Zeit.“ Die Einseitigkeit der Aussage nimmt Bischof Bätzing auf, indem er ebenso einseitig Gegenteiliges behauptet: „Das Geheimnis der Kirche war immer ihre unglaubliche Anpassungsfähigkeit, ohne die zentralen Wahrheiten aufzugeben.“ So sei es auch heute „unsere Pflicht, den Willen Gottes in den Zeichen der Zeit zu entdecken, wenn wir sie im Licht des Evangeliums deuten“.

Das Christentum hat sich an fremde Kulturen nicht einfach angepasst, sondern kritisch akkulturiert: Die gewalttätige Raubkultur der Germanen wurde mit dem christlichen Anspruch der Gewaltlosigkeit pazifiziert, die zerstörerische Fehdekultur im Mittelalter mit dem Idealbild des christlichen Ritters zivilisiert. Die Schiffsbaukunst für räuberische Drachenboote lenkten die Missionare in Norwegen in den Bau von 1000 Stabskirchen. Mit den Weisungen der Bibel, in der allein der Wille Gottes geoffenbart ist, wurden die jeweiligen Zeitkulturen kritisch gemustert und gegebenenfalls beeinflusst. Die Unterscheidung der Zeitgeister ist bis heute die Aufgabe der Kirche.

Die Überhöhung des Zeitgeists als Wille Gottes ist jedenfalls eine unchristliche Erfindung des Synodalen Irrwegs.

In einer weiteren Passage variiert Bischof Bätzing seine Gesellschaftstheologie: Die christliche Lehre müsse sich parallel zu den gesellschaftlichen Wandlungen ändern – etwa bei der Sexualmoral oder der Rolle der Frau. Bisher war die katholische Soziallehre die Richtschnur, nach der Katholiken mit christlichen Prinzipien in die Gesellschaft hineinwirkten. Soll nunmehr die gesellschaftliche Faktizität, aufgewertet durch einen „geistlichen, theologischen Gehalt“, selbst die neue christliche Norm darstellen?

Der Synodale Weg als Abbruchunternehmen mit Entsorgung von kirchlichem Sperrmüll

Aus diesem Ansatz fordert Bischof Bätzing ein „Aufräumen“ durch den Synodalprozess bei den Themen „Sexualmoral, Zölibat, Rolle der Frau“. Tatsächlich sehen sich viele Synodale als Akteure bei kirchlichen Abbruch- oder Entrümpelungsarbeiten: Die Bundesvorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft verglich die Aufgabe des Synodalen Wegs mit einer „Wohnungsauflösung nach einem Todesfall“: Bei den kirchlichen Sachen, „die eigentlich raus müssten“, sollte man „großzügig und mutig wegwerfen“.[3] Der Tenor eines knapp angenommenen Antrags für das Forum II lautete: ‚Brauchen wir das Priesteramt überhaupt noch – oder kann das weg?‘

Wenn sich diese Leute bei den synodalen Weggenossen durchsetzen, würde eine weitere Lieblingsidee von Bischof Bätzing allerdings obsolet werden: „die Priesterweihe für Frauen“. Der Limburger Prälat stilisiert dieses Thema zu dem allerwichtigsten Angelpunkt der Kirche hoch: „Die Frauenfrage ist für die Kirche zentral, daran entscheidet sich ihre Zukunft.“ Das sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz angesichts des desolaten Zustands der Kirche in Deutschland, in der ein Drittel der Katholiken wegen Glaubensverlust an Kirchenaustritt denkt.

Statt Lehramtsautorität die neue Normativität von Zeitgeistströmungen?

Den Einwand des Stern-Reporters: Aber Papst Johannes Paul II. habe doch schon vor Jahren erklärt, „dass die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden“, schiebt der Bischof vom Limburger Domberg souverän beiseite: Er habe „gute Gründe, das anders zu sehen“. Wenn Bätzing gegen die Lehrentscheidung des Papstes seine eigenen Ansichten stellt, dann degradiert er das päpstliche Lehramt letztlich auf die Stufe von Ansichtssachen und Meinungsstandpunkte. Die gleiche Infragestellung gilt dann allerdings auch für die bischöfliche Autorität durch die Gläubigen. Und warum sollte diese Skepsis-Haltung nicht auch für die Distanzierung zu den biblischen Geboten und neutestamentliche Weisungen gelten: Ich sehe das aus guten Gründen anders als die Bibel?

Und was sind nun die Gründe, die der Limburger Bischof gegen den weltkirchlichen Lehramtsentscheid des Papstes anführt? Die Argumente gegen die sakramentale Priesterweihe der Frau hätten kaum noch Akzeptanz im (rapide schrumpfenden) Kirchenvolk in Deutschland. Die Dürftigkeit der theologischen Argumentation überrascht.

Oder zeigt sich hier die neue Synodenlehre, nach der man in der Normativität des Faktischen gerne den Fingerzeig Gottes sehen will? 

 

 



[1] Christliche Kultur ohne Christen, FAZ vom 22. 12. 2021

[2] Vgl. Prof. Jörg M. Fegert: Die Macht der Täter brechen, FAZ 5. März 2018

[3] Katholiken auf Reformkurs, FNP am 1. 10. 2021