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Über die Schönheit der Seele

Anregungen für die Seelsorge

 

Hubert Windisch, Prof. Dr. theol.

 * Vor kurzem schenkte mir ein Freund ein Büchlein, das zu den kostbarsten Büchern gehört, die ich je gelesen habe: Francois Cheng, Über die Schönheit der Seele. Nach vierzig Jahren schreibt ihm eine Frau, die er einmal zufällig in der Pariser Metro traf und deren Schönheit ihn erschütterte, in vorgerücktem Alter, er möge ihr doch von der Seele des Menschen erzählen. „Spät in meinem Leben“, so schreibt sie, „entdecke ich, daß ich eine Seele habe. Nicht daß ich ihre Existenz zuvor ignoriert hätte, aber ich spürte nicht, daß sie wirklich war. Hinzu kam, daß in meinem Umkreis niemand dieses Wort mehr aussprach. Doch nachdem ich eine ganze Weile gelebt und mich von vielen Dingen losgemacht habe, drängt sich mir jetzt dieses unauflösbare, ungreifbare und zugleich körperlich reale Gebilde auf. Es wohnt tief in mir und läßt mich nicht mehr los.“ So bittet sie Cheng, ihr von der Seele zu erzählen. Denn: „Mir scheint, von da aus würde alles wieder wichtig und offen.“

 * Cheng bestätigt ihr, daß in der Moderne weder Begriff noch Wirklichkeit der Seele eine Rolle spielen. Der Mensch scheint alles Mögliche, aber keine Seele mehr zu haben, was sich besonders in der seelenlosen Kunst der Moderne zeigt. Der fernen Freundin gibt Francois Cheng seine Antwort in sieben Briefen, die nicht nur kundige Einblicke in die Kultur- und Religionsgeschichte in bezug auf die menschliche Seele bieten, sondern mit ihrem poetischen, zarten Ton voller Lebensweisheit zutiefst berühren. Er zitiert u. a. J.M.G Le Clézio mit einer Aussage, die jeden Theologen und „Seel“sorger aufrütteln müßte: „Die große Schönheit der Religion besteht darin, einem jeden von uns eine Seele gewährt zu haben. Ungeachtet der Person, die sie in sich trägt, ungeachtet ihres moralischen Verhaltens, ihrer Intelligenz, ihrer Sensibilität. Die Person kann häßlich, schön, reich oder arm, fromm oder gottlos sein, das ändert nichts. Sie hat eine Seele: diese seltsame, verborgene Präsenz, diesen geheimnisvollen Schatten, der in den Körper gegossen ist, der hinter dem Gesicht und den Augen lebt und den man nicht sieht. Schatten der Achtung, Zeichen der Anerkennung des Menschengeschlechts, Zeichen Gottes in jedem Körper.“ Und aufgrund dieser Tatsache kommt jedem Menschen unabhängig von geistigen oder körperlichen Fähigkeiten oder Zuständen eine unverlierbare Würde zu. Die Seele ist der Hauch (ruach) Gottes in jedes Menschenleben – aus der Ewigkeit für die Ewigkeit. Wieder sei ein zeitgenössischer Dichter von ihm erwähnt, Pierre Jean Jouve, der gesagt hat: „Die Seele ist in uns die einzige Macht der Ewigkeit.“ Die Seele ist creatio amoris dei, Geschöpf der Liebe Gottes, der von der menschlichen Seele in ihrer irdischen, individual-sozialen Verkörperung nichts anderes als geliebt werden möchte. Freilich weiß Cheng auch aus leidvoller Erfahrung, daß jede menschliche Seele auch dem Bösen ausgesetzt ist, das von ihr Besitz ergreifen will und kann. Die Antwort der Liebe unserer Seele auf die Liebe Gottes zu unserer Seele ist deshalb Geschenk und Kampf zugleich.

 * Man meint mit diesem Briefwechsel direkt in seit langem währende kirchliche Mißstände hineingenommen zu sein. Gibt es in unserem kirchlichen Alltag noch die Seele, diesen Hauch der Ewigkeit, auf den es für die Ewigkeit in dieser Zeit ankommt, oder schweigen die Kirchen verschämt von dieser Wirklichkeit, die wir im Innersten selber sind? Vor lauter innerweltlicher Liebedienerei hat die Kirche in ihrer „Seel“sorge die ewige Schönheit der menschlichen Seele vergessen und damit auch ihre eigene Würde und Schönheit verloren. Sie pflegt oftmals lieber eine Pseudowichtigkeit, anstatt ihrem Kernauftrag nachzukommen, nämlich im Sinne umfassender Seelenführung alles daranzusetzen, damit die Seelen der Verstorbenen (als die Gerechten) in Gottes Hand ruhen dürfen (vgl. Buch der Weisheit 3,1). Lange Zeit wußte man, nicht zuletzt bei der Feier sog. Seelenämter, tiefgläubig in Seelenverbundenheit mit den Verstorbenen, daß das Leben unserer Verstorbenen einmal unser Leben sein wird. Säkularisierung ist ein zu schwaches Wort für diesen Vorgang kirchlicher Seelenvergessenheit. Gottlosigkeit trifft ihn besser.

 * Von daher fällt auch ein grelles Licht auf die um sich greifende Banalisierung kirchlicher Seelsorge. Das Wort und der damit angesprochene Sachverhalt von Seelsorge wird in seiner Bedeutung und Tiefenwirkung weithin nicht mehr verstanden. Eduard Thurneysen (1888 – 1974), der große praktische protestantische Theologe aus Basel konnte noch die kirchliche Seelsorge als die Sorge um den ganzen Menschen im Angesichte Gottes beschreiben. Er trifft damit die schönen Aussagen von Francois Cheng in knapper theologischer Formulierung. Denn die Seele ist das Einheitsprinzip des Menschen, die Form seines Lebens hier und jetzt, die gültig werden will für die Ewigkeit. Die Seele will ihrer Schönheit gerecht werden für Gott, der die wahre Schönheit ist, weil sich in ihm das Wahre und das Gute durchdringen und so Barmherzigkeit und Gerechtigkeit eine Einheit bilden. Daher hat Seelsorge nichts Wichtigeres und Schöneres zu vollbringen, als den Menschen bei dieser Formfindung zu helfen. Sie tut es sub luce evangelii, im Licht des Evangeliums, als gewinnende Führung der Seelen zu Gott in Jesus Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (vgl. Johannesevangelium 14,6). Kirchliche Seelsorge dürfte sich also wieder ihrer ihr eigenen Schönheit bewußt werden. Sie entsteht in all ihren Ausdrucksmöglichkeiten dann, wenn sie dafür sorgt, daß bei den Menschen von heute in ihrem Leben die Güte und die Wahrheit Gottes im Glauben an Jesus Christus zusammenklingen. Das schließt den Ernst kirchlicher Seelsorge in keiner Weise aus, denn es ist immer die letzte Stunde im Kampf gegen den antichristlichen Seelenraub (vgl. 1. Johannesbrief 2,18). Der kirchlichen Seelsorge geht es also um das Seelenheil der Menschen. Salus animarum suprema lex, heißt es am Schluß des CIC. Das Heil der Seelen ist das oberste Gesetz der Kirche. Und deshalb sollte um der ewigen Schönheit der menschlichen Seele willen immer wieder bei Gottesdiensten eine Gedichtstrophe von Angelus Silesius gesungen werden: „Ach, daß ich dich so spät erkannte, du hochgelobte Schönheit du, daß ich nicht eher mein dich nannte, du höchstes Gut, du wahre Ruh; es ist mir leid, ich bin betrübt, daß ich so spät geliebt.“

 * Betreiben wir wieder Seel-Sorge in der Kirche, kümmern wir uns wieder um die Schönheit der menschlichen Seele!

„Mir scheint, von da aus würde alles wieder wichtig und offen.“