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Zeitgeist statt Heiliger Geist

Bischof Peter Kohlgraf sucht „mutig das Gespräch mit dem Zeitgeist“

Ein Kommentar von Hubert Hecker

Im 2. Vaticanum hat sich die Kirche die Aufgabe gestellt, „nach den Zeichen der Zeit zu forschen und sie im Lichte des Evangeliums zu deuten“ (Pastoralkonstitution Kirche und Welt Nr. 4). Der Begriff ‚Zeichen der Zeit‘ ist ein äußerst schwammiger Ausdruck und deshalb beliebig interpretierbar. Wenn nun der Gegenstand der Forschung schon so verschwommen formuliert ist, dann kann eine ebenso diffuse ‚Deutung im Lichte des Evangeliums‘ auch keine Klarheit in der Sache bringen. Insbesondere mangelt es diesem Ausdruck an der kritischen Unterscheidung der (Zeit-)Geister, d. h. der Bewertung der Zeitströmungen, Geisteshaltungen, Ideologien und politischen Tendenzen nach den Kriterien der biblisch-kirchlichen Lehre. Paulus hat den frühen Gemeinden in der heidnischen Umwelt die Weisung gegeben: Prüfet alles, nur das Gute (zum Evangelium Passende) behaltet. (1 Thess 5,21f)!

Für Bischof Franz-Josef Bode verschwimmen die Zeichen der Zeit mit dem heutigen Zeitgeist – etwa in einer liberalen Sexualpolitik. Aus seinen Reden lässt sich eine Umkehrung der Konzilsformel erkennen: Die biblisch-kirchliche Lehre zu Sexualität und Ehe soll im Lichte der heutigen normlosen Lebenspraxis an den Zeitgeist angepasst werden.

Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf verallgemeinert diesen Ansatz mit der Behauptung, dass die „Kirche und ihre Theologen immer auch zeitgeistig“ gewesen wären. Die Kirchenväter der ersten Jahrhunderte hätten die Christuslehre umformuliert und eingebettet in die Strömungen der hellenistischen Philosophie – etwa des späten Platonismus. Im Mittelalter entdeckte man den Wert des Aristotelismus für die Auslegung der Lehre.[1]

Kohlgrafs Formel von der vielfach zeitgeistigen Theologie stellt einen komplexen Prozess allzu simpel und einseitig dar. Neben der gegenseitigen Beeinflussung von Kirche und anderen gesellschaftlichen Kräften ist vor allem der kritisch-selektive Zugriff der Theologie auf zeitgenössische Geisteshaltungen zu berücksichtigen.

Schon im Johannesevangelium ist das Muster für die Auseinandersetzung mit den Zeitströmungen vorgezeichnet: Einerseits formuliert der johanneische Autor in der Sprache der griechischen Logos-Philosophie die Göttlichkeit des Mittlers und Erlösers Jesus Christus. Andererseits bekämpft er mit seiner Inkarnationstheologie („Der Logos ist Fleisch geworden“) die damals vorherrschende Gnosislehre. Die hellenistischen Gnostiker stritten die Offenbarung des Gottessohnes ab, indem sie die Lehre verbreiteten, durch Selbsterkenntnis den Gottessohn im eigenen Ich zu erkennen und damit zum Licht der Erlösung aufsteigen zu können.

Mit der platonischen Wahrheitslehre konnten die frühchristlichen Theologen gut die Lehre Christi als „Weg und Wahrheit“ vermitteln. Zugleich lehnten sie den Wahrheitsrelativismus der Sophisten strikt ab. Von der hedonistische Immanenzlehre der Epikureer grenzten  sie sich ebenso ab wie vom Materialismus des Lukrez oder Demokrit. An die Philosophie der Stoa konnten sie wiederum anknüpfen.

Eine zweifache kritische Unterscheidung ist bei der Adaption des Aristotelismus im Hochmittelalter festzuhalten: Zum einen die Ablehnung der Gegenposition des albigensischen Manichäismus, zum andern die Zurückweisung von einzelnen aristotelischen Positionen wie Befürwortung von Abtreibung und Sklavenhaltung.  

Eine zweite These von Peter Kohlgraf lautet, dass die (zeitgeistigen) Ausformungen der christlichen Lehre mit vielen unterschiedlichen Ansätzen bis hin zu Widersprüchen zu akzeptieren und zu tolerieren seien. Warum aber hält er sich selbst nicht an diese Toleranzregel? Der Bischof stellt „bestimmte Gruppen“ des konservativen Spektrums in einen Zerrspiegel der „Kleingeistigkeit“. Er desavouiert sie in einer Kaskade von abwertenden Beschimpfungen: Sie würden sich in Ängstlichkeit vor neuen Erkenntnissen in einer „geistig-geistlichen Wagenburg“ vermauern, alles Moderne „automatisch verteufeln“ und damit zu einer „armseligen Verengung“ der christlichen Lehre beitragen.
Seine eigene Position stilisiert er dagegen zum intellektuellen Gutmenschentum empor mit „Mut zu einem wahren Katholisch-Sein ohne Denkverbote“, indem er sich „mutig dem Gespräch mit der Zeit und ihren Erkenntnissen stellen“ würde.  

Die Oberflächlichkeit bei Kohlgrafs Beschreibung der historischen Lehrentfaltung der Kirche setzt sich fort in seinen Hohlformeln für die Gegenwart wie etwa der Floskel vom „Gespräch mit der Zeit“.



[1] Bischof Peter Kohlgraf auf der Bistumsseite Mainz vom 11. 3. 2021: Mut zu einem wahren Katholisch-Sein ohne Denkverbote