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Der ‚autoritäre Charakter’ ist an allem schuld - Adorno und die 68er

Von Hubert Hecker.

Das am Marxismus orientierte „Institut für Sozialforschung“ in Frankfurt verlagerte sich unter dem Druck des NS-Staates in die USA. Ende der vierziger Jahre forschte der deutsche Sozialphilosoph Theodor W. Adorno über gesellschaftliche Vorurteile der US-Amerikaner. Mit anderen Autoren publizierte er seine Arbeit 1950. Nach seiner Rückkehr aus dem Exil wurde Adorno in Frankfurt 1953 in Anerkennung seiner empirischen Forschungen in den USA zum Professor für Soziologie.

Förderung von linkem Faschismus

Obwohl Adornos Buch: „Studien zum autoritären Charakter“ erst 1973 auf Deutsch herauskam, gelten die daraus schon vorher in Raubdrucken verbreiteten Lehren als Nährboden für die 68er Revolte, wenn nicht als die Anstiftung zur ‚antiautoritären’ Studentenbewegung.

Doch als die von Adorno geförderten Frankfurter Studenten 1968 sein Institut besetzten, ließ er die Polizei rufen. Daraufhin wurde er in einem Flugblatt als „Büttel des autoritären Staates“ bezichtigt. Jürgen Habermas diagnostisierte damals in den studentischen Aktionen „linken Faschismus“. Adorno schloss sich dem Urteil an, dass die rebellierenden Studenten „mit dem Faschismus konvergieren – womöglich unter Berufung“ auf seine Studien. Allein die Kombination von ‚linker Rebellion’ und ‚Faschismus’ bedeutete ein indirektes Eingeständnis, dass seine Identifizierung von konservativ und autoritär mit antidemokratisch und faschistoid selbst dem Vorurteil eines ideologisch-moralischen Rechts-Links-Schema entsprang.  Von einer expliziten Einsicht oder gar Korrektur seiner Thesen ist allerdings nichts bekannt. Bis heute wirkt dieses fatale Schubladen-Schema von den angeblich reaktionären Konservativen und den guten fortschrittlichen Linken nach.

Übrigens hat die Einschätzung, dass die linksradikalen 68er in vielen Aktionen und Begründungen nur wiederholten, was rechtsradikale Nazi-Studenten Anfang der 30er Jahre praktizierten, einer der damaligen SDS-nahen Aktivisten, Götz Aly, in seinem Buch „Unser Kampf“ bestätigt.

Eine bittere Ironie der linken Gewaltgeschichte ist es, wenn die gewalttätigen Linksfaschisten von heute ihre Aktionen mit Parolen und Spruchbändern von Antifaschismus travestieren. Dabei können sie sich allerdings auf Adornos einseitige Philosophie vom präfaschistischen Bürgertum berufen. In der Einleitung seines Buches vom „autoritären Charakter“ sieht er im bürgerlichen Individuum ein faschistisches Potential, das ihn empfänglich mache für antidemokratische Haltungen und Handlungen. Auf diesem Hintergrund gibt es frappierende Ähnlichkeiten zwischen Adornos Argumentation vor 70 Jahren mit der heutigen Propagandahetze der schwarz-marxistischen Linksextremisten, die in alle nicht-linke Einstellungen präfaschistische Tendenzen hineinlesen. Auch diese Strukturähnlichkeiten deuten nachträglich darauf hin, dass Adornos Grundschrift zur Anstiftung der gewalttätigen Studentenrebellion beigetragen hat.

Ein ehemaliges SDS-Mitglied und 1967/68 Asta-Vorsitzender in Göttingen kommt zu einer ähnlichen Einschätzung: Wolfgang Eßbach, heute emeritierter Soziologie-Professor, meint in dem FAZ-Interview vom 7. 3. 18: Es habe eine „abgründig destruktive Seite“ der Achtundsechziger gegeben „mit Hass, Intoleranz und Wahnvorstellungen bei den Revoltierenden“.  Eine solche „Paranoia“ war nach seinen Worten die Erwartung, „dass die bürgerlichen Schichten in der Krise des Kapitalismus zum Faschismus griffen“. In diesem Sinne interpretierten die 68er staatliches Vorgehen etwa mit den Notstandsgesetzen, Polizeieinsätzen etc. schon als „Wiederkehr“ von faschistischem Handeln. Sie sahen damit studentische Gewaltaktionen als gerechtfertigten ‚Widerstand’ an.
Auf der anderen Seite glaubten sie, dass das Bürgertum und sogar die Arbeiterschaft durch die Medien, insbesondere die „Springerpresse“, in ihren autoritär-faschistoiden Charakteren gefördert und gefestigt wären.

Methodische Mängel

Auch diese offensichtlich ideologischen Fehlleitungen der 68er Studenten lassen auf Verzerrungen in den Anleitungsschriften ihrer professoralen Mentoren schließen.

Wenn man Adornos „Studien zum autoritären Charakter“ nach ihren begrifflichen und methodischen Ansätzen untersucht, ergeben sich einige fragwürdige Aspekte. Problematisch ist Adornos Begriff und Theorie von Faschismus, den er weitgehend mit restaurativem Konservatismus zusammenfallen lässt. In Wirklichkeit war der deutsche Nazi-Faschismus z. B. in vielen Bereichen (Eugenik, Sozialdarwinismus, Reformpsychiatrie, Keynesianismus, Arbeitsrationalität, instrumentelle Vernunft etc.)  ein ebenso missratenes Kind der Aufklärung in seinen Schattenseiten wie Marxismus und Kommunismus.

Fehlerhaft ist Adornos zentraler Ansatz, dass eine starke Autoritätsfixierung zwangsläufig eine präfaschistische Disposition und nazistische Anfälligkeit bedeuten würde. Dagegen sprechen empirische Erfahrungen gerade aus der NS-Zeit. Damals waren Gesellschaftsgruppen mit starker Autoritätsbindung wie die Zeugen Jehovas oder Katholiken nicht oder deutlich weniger anfällig für den Nazismus, jedenfalls weniger als die Gruppen der „aufgeklärten Christen“, Protestanten, Liberalen, Vorurteilslosen und oder sonstigen Progressiven. Selbst den sozialdemokratischen Wählern bescheinigten die Exilanten-Berichte starke Anfälligkeiten für NS-Propaganda in der Wohlstandsphase von 1936 bis 1939.

In dieser problematischen Verknüpfung  von Faschismus und Autoritätsorientierung sowie dem diffusen Faschismusbegriff bestehen die grundlegenden Mängel von Adornos Studie. Das sollte weitreichende Ergebnisfolgen haben. Denn immerhin war das zentrale methodische Instrument der Studie eine sogenannte „Faschismus-Skala“. An einem System von Aussagen-Komplexen wollte Adorno das „potentiell faschistische Individuum“ festgemacht haben. In seinen Kommentierungen zu den Befragungsergebnissen zerfranste sein unklarer Faschismus-Begriff weiter aus.

Alle Bürger mehr oder weniger unter Faschismusverdacht

Die Faschismus-Skala von Adornos Studie besteht aus 78 „Alltags-Aussagen“, die eine jeweilige Faschismusnähe anzeigen soll. Auf der 74. Stufe heißt der Vorhalt: „Was dieses Land braucht, sind weniger Gesetze und Ämter als mehr mutige, unermüdliche, selbstlose Führer, denen das Volk vertrauen kann“. Bei Zustimmung zu dieser Aussage wird der betreffende Probant der Kategorie „autoritäre Unterwürfigkeit“ zugeordnet und  als offener Faschist eingestuft. Die genannte Kategorie ist eine von neun Verhaltensstereotypen wie „Konventionalismus“, „autoritäre Aggression“, „Machtdenken“, „Destruktivität und Zynismus“, „Projektivität“ u. a., zu denen die Befragungs-Aussagen zugeordnet werden. Methodisch ging es letztlich um die „Quantifizierung antidemokratischer Trends auf der Ebene der Charakterstruktur“ (S. 38).

Die Kategorien selbst ebenso wie die interpretatorischen Einordnungen der Aussagen sind sehr stark von der psychoanalytischen Theorie Siegmund Freuds geprägt. Schon in der Einleitung wird das Diktum gesetzt, dass die „Mentalität“ oder Überzeugungsmuster des Individuums „Ausdruck verborgener Züge der individuellen Charakterstruktur“ seien (S. 1). Mit der  problematischen Freudschen Weltanschauung, alle Äußerungen in der bürgerlichen Gesellschaft als (Oberflächen-) „Erscheinungen“ zu entwerten, indem sie auf „wesentliche“ psychologische Triebbedingungen etwa frühkindlicher Art zurückzuführen seien, werden durchgehend die Befragungsergebnisse interpretiert. Die präfaschistische Bedeutung der Kategorie „Projektion“ etwa erklärt Adorno so: “Projektion ist ein Mittel, Es-Triebe ich-fremd zu halten. Sie kann als Zeichen der Unzulänglichkeit des Ichs betrachtet werden, seine Funktionen zu erfüllen“ (S. 60).

Noch deutlicher wird das Freudsche Interpretationsmuster in einem Absatz zur Kategorie „autoritäres Syndrom“ behandelt (S. 322f): Das „autoritäre“ Syndrom „folgt dem ‘klassischen’ psychoanalytischen Modell, das den Ödipuskomplex auf sadomasochistische Weise löst“. Nach Freud sei das so zu erklären: „Die Liebe (des Jungen) zur Mutter, in ihrer ursprünglichen Form, fällt unter ein strenges Tabu; der resultierende Hass gegen den Vater wird durch Reaktionsbildung in Liebe umgewandelt. Diese Transformation bringt eine besondere Art von Über-Ich hervor. Die schwierigste Aufgabe des Individuums in seiner frühen Entwicklung, Hass in Liebe umzuwandeln, gelingt niemals vollständig. In der Psychodynamik des ‘autoritären’ Charakters wird die frühe Aggressivität zum Teil absorbiert und schlägt in Masochismus um, zum Teil bleibt sie als Sadismus zurück, der sich ein Ventil sucht mit denjenigen, mit denen das Individuum sich nicht identifiziert: in der Fremdgruppe also“ (S. 323).  Damit ist jeder Bürger prinzipiell unter den Faschismus-Verdacht gestellt, denn, wie Adorno bemerkt, die Transformation der freigesetzten Triebkräfte im Ödipuskomplex gelingt „niemals vollständig“. Außerdem kann kein Mensch die gelungene Transformation von sich behaupten, denn die Vorgänge sind ja dem Individuum selbst „verborgen“ und nur der oberschlaue Tiefblick der Psycho-Analytiker könnte sie aufdecken.

Kommunismuskritik als verdrängter Antisemitismus?

Und so beginnt Adorno die Interpretationen der amerikanischen Mainstream-Überzeugungen, die er auf ihre Verdrängungen hinterfragt. In einem längeren Interview befürchtet ein Mann, „dass es früher oder später einen Krieg mit Russland wegen der Atombombe geben“ werde (S. 269). Russland habe großartige Sachen  zuwege gebracht, Fünfjahrespläne, Bildung und Erziehung. Auch die Widerstandskraft der Russen bewundert er. Aber Russland sei ein bisschen zu aggressiv. In Shanghai habe er persönlich russische Kaufleute kennengelernt. Er mag sie nicht. Sie scheinen so anmaßend zu sein“. Adorno diagnostiziert in diesen Gesprächsäußerungen eindeutig „antirussische Gefühle“, die der Mann durch „Personalisierungen ausdrückt“. ... „Die Einstellung dieses Mannes gegenüber Rußland kommt, nebenbei bemerkt, bestimmten antisemitischen Stereotypen sehr nahe; jedoch hat er nichts gegen Juden, ja, seine Frau ist Jüdin und in diesem Fall kann die Antipathie eine Verschiebungserscheinung sein“ (S. 269).

Adornos psychoanalytische Tiefenlogik ist etwa folgende: Eigentlich, im tiefsten Innern,  dürfte der Mann antisemitisch eingestellt sein, was aus seinen antirussischen Gefühle zu schließen sei. Da er aber mit einer Jüdin verheiratet ist, könnte er diesen Antisemitismus nicht offen zeigen. Also „verschiebt“ er seine eigentliche Aggression von der nahen Fremdgruppe der amerikanischen Juden gegen die fernstehenden fremden Russen.

Man sieht, mit der psychoanalytischen Methodik werden auch empirisch begründete Einschätzungen als vorurteilsgesteuerte Triebaggressionen mit komplexen Verschiebungseffekten hingestellt. Im beschriebenen Fall wird einem Mann, der mit einer Jüdin verheiratet ist, ohne Anlass und Begründung, rein assoziativ, Antisemitismus unterstellt – eine Verleumdung. Es drängt sich der Eindruck von psycho-ideologischer Kombinatorik auf, deren vorgestanzte Denkwege immer auf ein Ergebnis hinauslaufen: Faschismusverdacht!  

Das zeigt sich auch bei den ungehaltenen Reaktionen des Marxisten Adornos auf Kritik an linken Programmen: Ein Proband lehnt staatliche Interventionen ab, weil er darin eine Chance für die Faschisten sieht. Er sei sich „der progressiven Funktion solcher Intervention unter Roosevelt“ nicht bewusst. ... Trotz seiner eher linken Ideologie zeige dieser Mann Symptome einer Konfusion, die ihn zum Opfer pseudoprogressiver Schlagworte faschistischer Propaganda machen könnte“ (S. 257f).

Der Mann hatte richtig beobachtet, dass die wirtschaftspolitische Interventionen von Präsident Roosevelt („New Deal“) durchaus Ähnlichkeiten hatte mit den Arbeitsbeschaffungsprogrammen  von Hitler, was ihn skeptisch macht. Das nennt Adorno dann „Konfusion“, weil der „an sich“ linke Proband nicht den an sich linken Programmen zustimmt.

Adorno versucht seine warme Sympathie für den damaligen Stalinismus - wie viele intellektuelle Linksblindgänger in den 30er und 40iger Jahren des vorigen Jahrhunderts auch - gar nicht erst zu verbergen: Ein Student meint, dass der Kommunismus in ärmeren Ländern wie Russland vielleicht notwendig sei. Amerika sei aber für den Sozialismus ein viel zu reiches und weit entwickeltes Land. Adorno kommentiert dazu: „Der Gedanke kommt ihm nicht, dass eine kollektivistische Wirtschaft in einem hochindustrialisierten, voll entwickelten Land leichter durchzuführen wäre“ (S. 276), wie das ja auch Marx weiland prophezeit hatte, was aber nicht eintraf. Nach Adorno hätte man 1949 leicht und locker den USA die kollektivistische Planwirtschaft überstülpen können.  

Ein junges Mädchen sagt: „Ich kann die totalitären Ideen der Faschisten und die Zentralisierung bei den Kommunisten nicht leiden. In Russland hat man nichts für sich selbst, alles gehört einem Mann. Die gehen bei allen so gewalttätig vor“. Und ein Gefangener erklärt: „Wenn die Macht der Arbeiterschaft weiter zunimmt, dann wird es bei uns wie in Rußland sein. Dadurch kommen die Kriege“.

Zu diesen Antworten rastet Adorno förmlich aus: „Die komplette Irrationalität, um nicht zu sagen Idiotie, der letzten Beispiele zeigt, auf welche unermessliche psychische Hilfsquellen faschistische Propaganda bauen kann, wenn sie einen mehr oder weniger imaginären Kommunismus denunziert ...“. Antikommunismus also als psychisch verborgenes und verbogenes Faschismus-Potential, „begleitet von paranoiden Verdrehungen“ (S. 274).

Selbst eine „herablassende“, distanzierte Liberalität gegenüber dem russischen Kommunismus hält Adorno für geradezu gefährlich, wie sie ein relativ progressiver Medizinstudent in kühler, nicht-ideologischer Toleranz äußert: “Wir können mit Russland zusammenarbeiten; wenn sie den Kommunismus wollen, dann sollen sie ihn haben“. Adorno: „Genau diese Pragmatisierung der Politik bestimmt letztlich die faschistische Philosophie“ (S. 277).

So wie einige Jahre später der Kommunistenjäger McCarthy hinter jedem Busch einen Kommunisten aufdecken wollte, so entdeckt Adorno in der Seele von jedem kommunismus-kritischen Bürger einen potentiellen kleinen Faschisten.

Zusammenfassend folgt aus Adornos Ausführungen: Wer den kommunistischen Stalinismus nicht gut findet - wie in der Kriegszeit, als die amerikanischen Medien Stalin gelegentlich als „Uncle Jo“ verniedlichten -, der arbeitet den Faschisten in die Hände.

Religiosität grundsätzlich unter Faschismusverdacht …

In einem weiteren Kapitel interpretiert Adorno „Religiöse Vorstellungen im Interview-Material“(S. 280 -302). Religion, zumal die christliche „Sohn-Religion“ (gegenüber der jüdischen „Vater-Religion“) ist für einen angelernten Psychoanalytiker wie Adorno ein gefundenes Fressen. Der Leser wird ahnen, dass aus der psychoanalytischen Froschperspektive Religiosität als Über-Ich-Phänomen grundsätzlich dem Faschismusverdacht ausgesetzt werden müsste und nur die „Emanzipation (...) von der institutionalisierten Religion“ zu einer „gewissen Stärke des Ichs“ befreit (S. 296f).

Adorno führt aus: „Unsere Hypothese von der ‘neutralisierten’ Religion wird durch ein Charakteristikum belegt, dem wir ziemlich häufig im Interviewmaterial begegnen. Es ist die Neigung, Religion als Mittel, nicht als Selbstzweck zu betrachten, das heißt, Religion nicht um ihrer objektiven Wahrheit, sondern um ihres Nutzens willen zu billigen, um Ziele zu verwirklichen, die auch mit anderen Mitteln erreicht werden könnten. Dieser Standpunkt entspricht der allgemeinen Tendenz zur Unterordnung und zum Verzicht auf ein eignes Urteil, die so charakteristisch für die Mentalität der Anhänger faschistischer Bewegung ist“ (S. 287). Mit diesem Kategorien-Konstrukt glaubt der Marxist traditionelle Religiosität entlarvt zu haben.

Die „neutralisierte“ Religion konkretisiert Adorno an einer Interview-Äußerung:
„ ... Religion gibt etwas, an das man sich halten kann, wonach man sein Leben einrichten kann“ (S. 289). Diese Aussage klingt entfernt nach Luthers Wort, dass einen Gott haben bedeute, sich an ihn halten in allem Guten und Zuflucht suchen in allen Nöten. Für Adorno ist diese Äußerung im Gegenteil charakteristisch für einen entleerten, „neutralisierten“, Faschismus förderlichen Religionsersatz:

„Wenn Religion nur noch gebraucht wird als etwas, ‘woran man sich halten kann’, so vermag diesem Bedürfnis alles zu genügen, was dem Individuum absolute Autorität bietet, wie ...“ - dreimal darf man raten - „der faschistische Staat“ natürlich. Und dann weiter in diesem Stil  zum Thema: Religion, Faschismus und Frauen: „Sehr wahrscheinlich –‚probably’ - hat der Faschismus bei den deutschen Frauen eben die Rolle übernommen, die zuvor ihr Glaube an die positive Religion innehatte. Psychologisch wirkt die faschistische Hierarchie weitgehend als säkularisierter Ersatz der kirchlichen. Schließlich verbreitete sich der Nationalsozialismus von Süddeutschland aus, das eine starke römisch-katholische Tradition hat“ (S. 289).

… insbesondere bei katholischen Frauen

Letztlich wären also Kirche und Katholiken am Wachsen des deutschen Nationalsozialismus entscheidend beteiligt – eine These bar jeder historischen Empirie. Geschichtliche Tatsache ist, dass aufgrund des Unvereinbarkeitsbeschluss’ der deutschen Bischöfe bis 1933 die NSDAP relativ wenige katholische Parteigänger hatte. Hitler wurde vor allem von den Nicht-Katholiken gewählt. In katholisch geprägten Regionen war die NSDAP eher eine Mittelpartei mit hälftigen Ergebnissen im Vergleich zum Reichsdurchschnitt – insbesondere im süddeutschen Bayern.

Insgesamt erweist sich Adornos Arbeit zum „autoritären Charakter“ als ideologiegeleitete und hochspekulative Studie, in der aus sozialistischer Perspektive ein ausufernder Faschismusverdacht gegenüber allen Schichten des Bürgertums unterstellt und dann in die Befragungsergebnisse hineininterpretiert wird mit psychoanalytischen Denkmustern.

Literatur: Theodor W. Adorno: Studien zum autoritären Charakter, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 2. Auflage 1976