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                                                                                     4.3.2024

Die protestantischen Kirchen vertuschen ihre Vertuschung großen Ausmaßes

Wenn dieses Maß an Vertuschung in der katholischen Kirche passiert wäre, dann hätten die Medien die Kirche mit einer riesigen Skandalwelle überflutet.

Was ist passiert?

2014 verpflichtete sich die Deutsche Bischofskonferenz, dem Forschungskonsortium für die MHG-Missbrauchsstudie die Personalakten von Priestern, Ordensleuten und Diakonen der 27 deutschen Bistümer seit 1946 bereitzustellen. Diese Verpflichtung wurde mit der Herausgabe von 38.000 Akten eingelöst.

Die EKD als Dachorganisation der evangelischen Landeskirche hatte sich 2020 ebenfalls verpflichtet, die entsprechenden Personalakten für die Missbrauchsstudie ForuM herauszurücken. Angefordert wurden die Akten von Gemeindepastoren und dem Sozialdienstbereich der „Diakonie“. Für den Aktenzugang der Forscher hatte die EKD eigens die rechtlichen Bedingungen geschaffen.

Nur die Spitze der Spitze des Eisbergs der Missbrauchsvorkommen untersucht

Doch 19 der 20 protestantischen Landeskirchen verschleppten und verzögerten die Bereitstellung der Akten mit allerlei Ausreden. Schließlich stellten sie den Forschern 4.300 sogenannte Disziplinarakten zur Verfügung. Das war nur ein Bruchteil der geforderten und selbstverpflichteten Unterlagen, vielleicht fünf bis zehn Prozent. Dazu kam, dass bei den meisten Landeskirchen gesonderte Disziplinarakten erst seit den 1980er Jahren geführt wurden.

Es war klar, dass bei dieser völlig unzureichenden Datenbasis die Forschungsergebnisse bezüglich der Quantität ebenso verzerrt sein würden, nur die „Spitze der Spitze des Eisberges Missbrauch“, wie es Prof. Dreßing drastisch formulierte. 

Im Januar 2024 veröffentlichten die Forscher die ermittelten Missbrauchszahlen für die Evangelische Kirche in Deutschland: Im Vergleich zur MHG-Studie waren mit 511 missbrauchsbeschuldigte Pastoren weniger als ein Drittel der übergriffig-verdächtigen katholischen Geistlichen aufgeführt, dazu kamen 750 beschuldigte Laienmitarbeiter. Die vergleichbare Opferzahl von missbrauchten Minderjährigen lag ebenso im niedrigen Bereich.

Konnten sich die Protestanten bei diesen relativ niedrigen Zahlen nicht bestätigt sehen in ihrer Selbsteinschätzung, dass in ihrer Gemeinschaft keine missbrauchsbegünstigenden Machtstrukturen beständen, weil die evangelische Kirche in Abgrenzung zur katholischen eben „grundlegend geschwisterlich“ sowie „partizipativ, hierarchiearm und progressiv“ wäre? Die Formulierungen sind aus der ForuM-Studie zitiert, die dieses Konstrukt der „besseren“ evangelischen Kirche als verbreitetes Selbstbild der protestantischen Kirchengemeinschaft eruiert hat.

In Wirklichkeit waren die niedrig-geschönten Zahlen das Ergebnis der großangelegten Vertuschung von Seiten der evangelischen Landeskirchen durch Aktenvorenthaltung.

Es hat am Willen gefehlt, alle Personalakten herauszugeben …

Mit der Vertuschung der Vertuschung durch windige Ausreden begannen die EKD- und Landeskirchenveranwortlichen schon bei der Pressekonferenz zur Publikation der ForuM-Zahlen:

• Der protestantische Föderalismus sei daran schuld, dass die selbständigen Landeskirchen nicht das leisteten, was die EKD-Führung zugesagt habe. „Inakzeptabel“, meint dazu die evangelische Missbrauchsbeauftragte des Bundes, Kerstin Claus: Mehrere Landesbischöfe waren in die EKD-Vereinbarung eingebunden. Außerdem sind die Bischöfe der katholischen Bistümer ebenfalls nicht weisungsgebunden und trotzdem haben alle Bistümer in gleicher Weise alle Personalakten bereitgestellt.

• Die 19 Landeskirchen wären von der Aktenbereitstellung überfordert gewesen, den Aufwand an Personal hätten sie einfach unterschätzt, lautet unisono die Selbstentschuldigung. Die Protestanten bilden sich viel darauf ein, die Logistik der Kirchentage mit 2 bis 3tausend Veranstaltungen und 10tausend Mitarbeitern perfekt zu bewältigen – und hier jammern sie von Überforderung! Die Landeskirchen sind Großorganisationen – und nicht kleine Klitschen, ergänzte ein Kenner der evangelischen Kirche.

• Außerdem: Die Rheinische Landeskirche hat problemlos neben den 161 Disziplinarakten 4733 Akten von Pastoren und Diakonie-Mitarbeitern bereitgestellt. Das hätten die anderen 19 Landeskirchen mit ihren großen Etats ebenso leicht geschafft, wenn es denn gewollt gewesen wäre. Der beteiligte Forscher Großbölting dazu: „Es hat wohl an dem Willen gemangelt, das entsprechend anzupacken.“ Er zitiert den Juristen Rixen: „Wer das will, der kann das auch!“

Bei Berücksichtigung der Faktenlage, der logistischen Kompetenz der Landeskirchen sowie der jämmerlichen Entschuldigungen liegt die Schlussfolgerung nahe, dass die verweigerte Herausgabe der Personalakten sowie die daraus folgende drastische Verminderung der Missbrauchs-Fallzahlen eine nicht ungewollte Vertuschung im großen Stil war.

… die Wahrheit kam aber doch ans Licht 

Im Vergleich der Befunde aus den Disziplinarakten der Rheinischen Landeskirche mit denen der Personalakten ergab sind Folgendes:
57 Prozent der Beschuldigten und 73 Prozent der Betroffenen waren in den Disziplinarakten NICHT erfasst. Aus diesem Zahlenverhältnis haben die Forscher eine Hochrechnung für alle 20 Landeskirchen erstellt, die als realistische Annäherung an die wirklichen Verhältnisse bei den Protestanten gelten kann:

Statt der geschönten Zahl von 1259 Beschuldigten ist tatsächlich von 3497 mutmaßlichen Missbrauchstätern in der evangelischen Kirche auszugehen; die Zahl der Betroffenen liegt nach der Hochrechnung nicht bei 2175, sondern bei 9355. Bei den beschuldigten Pastoren sind es nicht 511, sondern 1402 evangelische Pfarrer sind als verdächtige Missbrauchs- bzw. Mehrfachtäter aktenkundig geworden. Diese Zahl liegt nur wenig unter der Marge von beschuldigten katholischen Priestern nach der MHG-Studie.

Doppelstandard der Medien bei ihren Publikationen zu Missbrauchsvorkommen    

Als im September 2018 die MHG-Forscher die ermittelten Zahlen für die katholischen Kirche vorstellten: 1670 beschuldigte Geistliche und 2174 Betroffene, da überschlugen sich die Medien mit Skandal-Anprangerungen: „Erschütternde Zahlen“, „Kirche am Abgrund“, „Bilanz des Schreckens“, „Schande über die Kirche“, „Täterorganisation“, später noch: „maffiöse Vertuschungsstrukturen“. Seither gebrauchen die Medien für sexuelle Übergriffe in der Kirche stets den Aufbauschungsbegriff „Missbrauchsskandal“. Jeder neue Missbrauchsfall sowie die publizierten Missbrauchsstudien der Bistümer werden medial im skandalisierenden Empörungston kommentiert. Die Präsentation der WSW-Studie für das Erzbistum München vor zwei Jahren wurde gar als Tribunal über die Kirche allgemein und den ehemaligen Erzbischof Ratzinger im Besonderen aufgezogen, von den Medien so erwartet und befeuert.

Bei den jüngst publizierten gleichhohen Missbrauchszahlen der evangelischen Kirche spricht dagegen absolut keines der Medienhäuser von „Missbrauchsskandal“ bei den Protestanten. Der groß angelegte Vertuschungsversuch wird nicht beim Namen genannt, wenn er überhaupt erwähnt wird. Bei vielen Medien sucht man kritische Nachfragen in die Tiefe vergebens.

Darin zeigt sich der seit Jahren eingeschliffene Doppelstandard in der Berichterstattung zu den beiden Kirchen. In einer Studie von Media Tenor nach Auswertung von 10.600 Berichten deutscher Leitmedien überwiegen die negativen Wertungen der Medienbeiträge zu katholischen Kirchenthemen um 42 Prozent. „Jeder dritte Beitrag befasste sich mit Skandalen und der Missbrauchs-Thematik in der katholischen Kirche“, so der Forschungsstand der Medien-Experten vom Dezember 2022. Dagegen seien „die deutschen Leitmedien der evangelischen Kirche gegenüber freundlicher gesinnt“, stellt Media Tenor fest. Der Ton sei „ausgewogen“.

Dieses unterschiedliche Bewertungsvorgehen der deutschen Leitmedien hat in der Realität der beiden Kirchen keine Basis, wie die Zahlen der ForuM-Studie zeigen.  Nach der berufsethischen Verpflichtung auf Wahrheit und Wirklichkeit dürfte es die seit 2010 extrem verzerrte Negativdarstellung und Missbrauchs-Skandalisierung gegen die katholische Kirche im seriösen Journalismus nicht geben.

Vorurteile und Voreinstellungen der Medien

Offensichtlich beruht die mediale Einseitigkeit auf Vorurteilen und Voreinstellungen bei Chefredaktionen und Journalisten. Seit Jahren ist durch eine Befragung bekannt, dass 42 Prozent der Medienleute Ressentiments gegen die katholische Kirche pflegen: Der hohe moralische Anspruch der Kirche sei nichts als scheinheilige Doppelmoral, da er von den Geistlichen selbst nicht eingehalten würde. Der Missbrauch von (relativ wenigen) Geistlichen scheint ihnen die perfekte Bestätigung für ihr Vorurteil zu liefern, um einseitig die Kirche schlechtzureden. Als Differenzierung sei hinzugefügt, dass die Medien auf konservative Kirchenleute nochmal besonders einschlagen, indem sie die als rückständig, reformunwillig und doktrinär desavouiert.

Auf der anderen Seite ist zu fragen: Was treibt die Journalisten an, zu Themen und Personal der evangelischen Kirche eher ausgewogen, jedenfalls grundsätzlich „freundlich“ zu berichten? Besteht dazu ein positives Vorurteil?

Darauf könnte eine Passage der ForuM-Studie eine Antwort geben: Die Forscher haben durch Diskursanalysen eruiert, dass die evangelischen Führungskräfte auf allen Ebenen ihre Institution stets als „grundlegend partizipativ, hierarchiearm und progressiv“ beschreiben, der Umgang miteinander geschehe in „Geschwisterlichkeit“. Dieses idealisierte Selbstbild passt gut zu dem links-liberalen Milieu der meisten Redaktionen. Da liegt es doch nahe, dass sich die Journalisten ‚mit der guten Sache (der evangelischen Kirche) gemein machen‘ und Kritik höchstens an Realisierungsmängel anbringen.

Handzahme Berichterstattung der Medien zum Missbrauchskomplex der ev. Kirche

Nach diesem Exkurs zur Medienanalyse zurück zur konkreten Medienreaktion auf die Präsentierung der Forschungsergebnisse der ForuM-Studie.

Der Tenor der meisten medialen Meldungen bewegte sich im Rahmen der vagen Feststellung: „Mehr Fälle von Missbrauch in der evangelischen Kirche als bisher angenommen“ (MDR). Wenige Medien wie der Spiegel zogen einen Vergleich: „… ähnlich schlimme Zustände wie in der katholischen Kirche“. Viele der Leitmedien wie Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Rundschau, Zeit online und Tagesspiegel, die sich gegen die katholische Kirche zum Thema Missbrauch den Mund zerrissen haben, kommentierten die Ergebnisse der EKD-Studie handzahm. Ohne kritische Nachfragen verfing bei ihnen die oben aufgezeigte Vertuschung in Form der verweigerten Personalakten. Sie alle schrieben die geschönte Niedrigzahl von 2220 Opfern in ihren Titelzeilen – und unterschlugen somit das ganze Ausmaß von 9355 Missbrauchsopfern in der evangelischen Kirche.

Nur ein WDR-Bericht zeigte die schreiende Diskrepanz zwischen EKD-Anspruch und Wirklichkeit auf, indem sie zwei Forscher zu Wort kommen ließ: Es sei „völlig absurd“, so Prof. Rixen, wenn die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Kirsten Fehrs „umfassende Aufarbeitung“ verspreche, andererseits uns die wesentlichen Akten vorenthielten, um genau das zu tun. In einem weiteren Bericht spricht der WDR von „zehnmal mehr Fällen sexualisierter Gewalt als gedacht“, eben jene 9355 Missbrauchsopfer durch Übergriffe evangelischer Pfarrpersonen.

Viele Medien leiteten nach dem Aufweis der Studien-Ergebnisse schnell zu den Plänen und Vorhaben der EKD-Leitung über – so etwa der FAZ-Autor und protestantische Kirchenversteher Reinhard Bingener: „Die evangelische Kirche verspricht eine einheitliche Aufarbeitung sexualisierter Gewalt“. Dazu sagte die Bundesbeauftragte für Missbrauch, Kerstin Claus: Mich haben die EKD-Äußerungen bei der Pressekonferenz „fassungslos gemacht“. Seit fünf Jahren höre sie immer wieder diese allumfassend nichtssagenden Bekenntnisse zur Aufklärung – und an der Basis in den Landeskirchen passiere kaum etwas.

Viele Verantwortliche in der evangelischen Kirche scheinen „den Schuss nicht gehört“ zu haben, wie ein Kommentator von Publik Forum meinte.

Hubert Hecker