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                                                                                          15.6.2024

Gefährdung von Menschenrechten und Schöpfungsordnung

Ein Grundsatzkommentar von Hubert Hecker

In dem regierungsbeauftragten Kommissionsbericht zur Legalisierung von Abtreibungen wird das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren höher gewichtet als das Lebensrecht der Ungeborenen. Erwachsene stellen ihre Rechte über die der kleinen Kinder im Mutterleib. Die Stärkeren nehmen sich die Freiheit heraus, über Leben und Tod der schwachen und schutzbedürftigen Kleinen zu entscheiden.

Der Massenmörder Lenin ist seit hundert Jahren tot. Aber die von ihm erstmals eingeführte Praxis der uneingeschränkten Abtreibungsfreiheit lebt wieder auf.

Was ist passiert, dass solche Argumentationen vom Recht des Stärkeren in den links-grünen Kreisen breite Akzeptanz finden? Welche Hintergrundströmungen begünstigen die Verweigerung der Menschenrechte für Ungeborene?

I. Überhöhung der subjektiven Freiheitsrechte

Seit der Deklaration der Menschenrechte in der UN-Generalversammlung am 10. Dez. 1948 beziehen sich alle Staaten und Gruppen auf diese Grundrechtscharta. Zugleich begann seither auch der Kampf der Interpretationen um die Rechte. 53 islamische Länder etwa stellten die Menschenrechte unter den Vorbehalt der Scharia, die keine vorstaatlichen Rechte anerkennt. Im Westen hat sich mit der Dekonstruktionsphilosophie seit den 1970er Jahre eine Überhöhung der subjektiven Freiheitsrechte breitgemacht, die den Gehalt der Menschenrechte aushöhlt.

Bisher galt das menschliche Leben als höchster Wert. Inzwischen hat das Verfassungsgericht in seinem Suizidhilfeurteil die Unverfügbarkeit des Lebens aufgehoben in der erweiterten Autonomie der persönlichen Lebensgestaltung.

Die Forderung der 68er nach Förderung kindlicher Sexualität kam als Forderung zu Kinderrechten auf Sexualität daher. Tatsächlich diente Helmut Kentler und Michel Foucault diese Forderung als Türöffner für die Entkriminalisierung von einvernehmlicher Pädosexualität.

Eine Überhöhung der subjektiven Freiheitsrechte auf Kosten der Mehrheitsgesellschaft lässt sich auch bei dem kürzlich verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz feststellen: Minderjährige und Erwachsene dürfen einmal im Jahr nach aktuell-subjektivem Gefühl ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Die bisherige psychologisch-medizinische Prüfung ihres Antrags sei für die Petenden nicht zumutbar. Aber der Öffentlichkeit wird strafbewehrt zugemutet, die Unwahrheit der biologischen Geschlechtsverdrehung als Wahrheit zu benennen. Frauen müssen damit rechnen, dass biologische Männer in ihre Schutzräume eindringen sowie in Sportwettbewerben verdrängen.

Bei den anstehenden Änderungen des Abstammungsrechts wird der subjektive Wunsch von Homo- und Transpaaren nach einem Kind über das Kindeswohl gestellt. Außerdem wird dadurch das UN-verbriefte Recht der Kinder, bei ihren biologischen Eltern zu leben, untergraben.

II. Überschreitung der gebotenen Grenzen der Freiheit

Eine weitere Gefährdung der Menschenrechte besteht in der exzessiven Auslegung der Freiheiten, indem die gebotenen Grenzen und Einschränkungen missachtet werden.

Für jedes der deutschen Grundrechte sind Einschränkungen formuliert, für das grundlegende Freiheitsrecht (Art 2), Meinungsfreiheit (Art 5) und Koalitionsfreiheit (Art 9) sogar jeweils eine „Schrankentrias“. Die allgemeine Schrankenforderung lautet, dass jede Freiheit dort endet, wo die Freiheit des anderen Menschen beginnt.

In Anwendung auf das Grundrecht zu Selbstbestimmung bedeutet das: Jede Fremdverfügung über den eigenen Körper (Sklaverei, Vergewaltigung) ist verboten ist, über jeden körperlichen Eingriff oder medizinische Behandlung kann nur die betreffende Person selbst entscheiden. Bei einer Schwangerschaft wächst aber im Mutterbauch eine eigene Person mit eigenem Körper und eigenen Rechten heran. Deshalb enden Handlungsfreiheit und Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren am Körper des Ungeborenen. Somit kann es grundsätzlich kein Recht auf Abtreibung des ungeborenen Kindes geben.

Gegen diese klare, eindeutige und zwingende Rechtsauslegung werden von den Abtreibungsbefürwortern verschiedene Verschleierungsargumentationen vorgebracht:

Der Geschlechtsakt zur Zeugung des Kindes sei zwar freiwillig geschehen, aber das gezeugte Kind sei nicht gewollt, nicht gewünscht – deshalb die Abtreibung. Da ist er wieder: der subjektive Wunsch, nach dem ein objektives Recht anderer, hier das Lebensrecht eines ungeborenen Menschen, zurückstehen soll.

Mit der Einordnung von Abtreibung unter den Neu-Begriff „reproduktive Rechte“ wird ebenfalls ein Überrecht konstruiert, nach dem das Ungeborene nur als eine quantité négligeable erscheint.

Mit der verbreiteten Bezeichnung ‚Schwangerschaftsabbruch‘ soll von der Tatsache abgelenkt werden, dass mit dem medizinischen Eingriff ein Menschenkind abgetrieben wird – und nicht eine biologischen Vorform des Menschen oder ein diffuses ‚Schwangerschaftsgewebe‘.

Jedenfalls ist die ideologische Großtendenz unübersehbar, das im Mutterleib heranwachsende Kind zu entpersonalisieren oder zu denaturalisieren, was der links-grünen Agenda entspricht.

III. Denaturalisierung von Person und Familie

Der französische Jurist Grégor Puppinck hat diese epochale Entwicklung in seinem Buch „Der denaturalisierte Mensch und seine Rechte“ ausführlich behandelt. Dessen Argumentationsführung erläutert Stefan Rehder in seiner Rezension im ‚Lebensforum‘ 137:

Die Menschenrechte von 1948 wurden noch als „natürliche Rechte der Menschen“ formuliert. Aber der sich ausbreitende Individualismus im Westen hat den Menschen seiner Natur beraubt. Diese Entwicklung haben insbesondere links-grüne Kräfte vorangetrieben. Im Ergebnis werden die menschlichen „Rechte von Natur aus“ wie das Recht auf Leben abgelöst durch das Recht auf Abtreibung und Euthanasie. Des Weiteren werden dem denaturalisierten Menschen „das Recht auf Eugenik, Recht auf ein Kind oder der Änderung des Geschlechts“ zugesprochen.

Dieser Wertewandlungsprozess von den naturrechtlich begründeten Menschenrechten zu unnatürlich-konstruierten Individualrechten hat für das Bild des Menschen als integriertes Körper-Geist-Wesen fatale Folgen. Die Menschenwürde wird „zunehmend auf den Willen des Individuums bzw. auf den Geist des Menschen reduziert“. Die Verneinung der leib-seelischen Natur des Menschen führt zu der philosophischen Grundsatzentscheidung, welche dem „Wollen“ die Vorherrschaft über das „Sein“ des Menschen einräumt.

Der Wille ist nach klassischer Definition ein Vermögen, mit welchem der Mensch die Erreichung von Zielen anstrebt, die er mittels der Vernunft für gut befindet. Nach der neuen Weltsicht ist der Wille, vielfach als bloßer Wunsch verstanden, das Eigentliche des Menschen. Er wird zum reinsten Ausdruck des Geistes stilisiert, als letztbegründend und unangreifbar hingestellt und zur Norm erklärt.

Nach diesem konstruktivistischen Ansatz zum Menschenbild würden die staatlichen Institutionen in der Pflicht stehen, alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die dem Wollen der Menschen entgegenstehen. Insbesondere seien die gesetzlichen Einschränkungen zu Euthanasie, Abtreibung, Homo-Ehe, künstlicher Befruchtung, Leihmutterschaft, Abstammungsrecht, Elternschaft und Familienformen aufzuheben.

Dabei bleiben die klassischen, in der leib-geistigen Wesensnatur des Menschen verankerten Menschenrechte auf der Strecke. Angesichts der massiven gesetzlichen Eingriffe in das bisher biologisch basierte Familien-, Abstammungs- und Elternschaftsrecht ist es fatal, dass die deutschen Bischöfe des Synodalen Wegs ausdrücklich vom Naturrecht Abstand nehmen.

Stattdessen folgen sie den gnostisch beeinflussten Humanwissenschaften, die die entsprechenden Beziehungsrechte auf willkürliche Interessen und Nutzungsüberlegungen aufbauen wollen.

In der Folge haben die Bischöfe die schwerwiegende Fehlentscheidung getroffen, die naturrechtlich und schöpfungstheologisch fundierte katholische Lehre zu Sexualitäts- und Familienbeziehungen über Bord zu werfen.

Doch darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Sowohl in der Kirche wie auch in Teilen des Feminismus formiert sich Widerstand gegen den Weg der „verleugneten Natur“ und der „veruntreuten Menschenrechte“. Diese verschiedenen Kräfte verfolgen den Ansatz, dass wir unsere Freiheit und Menschenwürde nur bewahren, wenn wir uns in unserer leib-geistigen Natur als menschliche Wesen entfalten (vgl. das Interview mit der Theologin Favale in der Tagespost vom 3. Mai 2024).